Puck
doch verdrücken. Vom Bahnhof aus kann man doch noch nach Schlachtensee? Oder stoppen die Züge?«
»Erst wenn die Sirenen gehen. Hau ab, Mensch, und ruf morgen an.«
Er ging und verlor sich in der Finsternis. Wir lachten vor unserem Radio und freuten uns an der Wurst. Dann aber kam das Unerwartete: Kaum war Karl verschwunden, da heulten die Sirenen. Wir sahen uns an: »Das ist aber merkwürdig«, sagte Frauchen.
Ich sah auf die Uhr: »Es ist noch zu früh, um zu Bett zu gehen.« Ich nahm Puck auf den Schoß, der mit gespitzten Ohren in die Nacht lauschte: »Entweder ist es ein Versehen, oder jemand in der Wamzentrale hat geschlafen. Ich schlage vor, daß wir mit Puckchen noch mal ums Viertel gehen.«
»Geht nur«, sagte Frauchen, »ich räume derweilen hier zusammen. Dora hat Ausgang.«
»In Ordnung. Pucki, komm aufs Gäßchen!«
Er sah mich forschend an und schien nicht sehr überzeugt. Ich legte ihn an die Leine und zog ihn ins Treppenhaus.
Vor dem Haus standen Meier und ein paar andere. Ihre Zigaretten glühten in der Dunkelheit.
»Unverschämtheit!« knurrte Meier. »Bestimmt ist das ein Fehlalarm. Wahrscheinlich sind die Brüder besoffen.«
»Na, wir gehen jedenfalls Beineheben«, erwiderte ich. An der Ecke knallte ich mit einem Mann zusammen. Es war Karl.
»Nanu?« fragte ich. »Du wolltest doch nach Schlachtensee?«
»Ich hab’ den Bahnhof kaum gefunden, und dann hab’ ich — gerade als die Sirenen gingen — jemanden gefragt, wann der nächste Zug nach Schlachtensee geht.«
»Und was hat er gesagt?«
»Leck mich am Arsch!« berichtete er bitter. »Da habe ich mir gesagt: Gehst besser zurück. Die haben doch wenigstens einen Luftschutzkeller.«
Ich lachte: »Na, dann geh schon mal ‘rein. Ich komme gleich nach, wenn Puck seine Geschäfte erledigt hat.«
Als ich zurückkam, hatte die Gefährtin in der Diele gedeckt. Sie lag im Zentrum der Wohnung und schien der sicherste Platz. Auf dem Tisch stand eine weitere Flasche Rotwein, außerdem war eine der letzten Büchsen mit Würstchen aufgemacht.
»Ich schicke euch einen Schinken«, sagte Karl, während er Zugriff. »Das kann ich ja gar nicht annehmen.«
Wir aßen und tranken. Draußen blieb es totenstill. »Na, wie gefällt dir der Luftangriff?« fragte ich. »Nicht mal Flak.«
Karl nahm einen tiefen Schluck: »Wie erklärst du dir das?«
»Fehlalarm — ganz einfach, hab’ ich dir doch schon gesagt.«
»Kommt das oft vor?«
»Bisher nicht. Wahrscheinlich eine Veranstaltung zu Ehren deiner Ankunft.«
In diesem Augenblick sah ich, daß die Fellhosen Pucks, der erwartungsvoll neben Karl saß, zu zittern begannen. Er kam zu mir hinüber und drückte sich an mein Bein.
»Moment mal...«, sagte ich und ging in die Toilette. Sie war mein Ausguck bei Angriffen, da sie ziemlich dicke Mauern und nur ein kleines Fenster hatte. Ich öffnete es und hörte nun das dumpfe Rollen des äußeren Flakringes. Die Nacht war sternklar, aber in ihren Tiefen wuchs das Böse. Ich drehte mich tun: »Hör zu, Karl. Wir sind bisher nicht in den Keller gegangen, aber mit dir ist das was anderes. Ich würde dir raten, auf alle Fälle ‘runterzugehen. Und du«, sagte ich zur Gefährtin, »gehst am besten mit, falls jemand dumme Fragen stellt. Karl, du kannst ihr da den Koffer tragen.«
Die beiden standen ohne Widerspruch auf. Karl setzte die Flasche vor den Kopf und trank den Rest aus: »Zur Beruhigung für die Nerven«, sagte er, als er absetzte, und grinste mich an.
»Wir haben auch Nerven, du Armleuchter«, sagte ich. »Und nun macht schon, daß ihr ‘runterkommt. Ich weiß nicht, warum, aber die Sache gefällt mir heute gar nicht.«
Nachdem sie gegangen waren, bezog ich wieder meinen Auslug am Toilettenfenster. Aber zunächst ereignete sich nichts. Hinter mir in der Diele saß Puck zitternd an meinem leeren Stuhl. Auf dem Tisch lagen zusammengeknüllte Servietten, leere Teller und die noch leere Flasche. Dahinter stand die Tür zum Ankleidezimmer offen. Auch die Schranktür gähnte. Auf der anderen Seite, in den vorderen Zimmern, wußte ich die alten Truhen und Schränke. Seit Jahrhunderten in der Familie, waren sie mir liebe Freunde und Gefährten seit frühester Jugend. Eine seltsame Wehmut beschlich mich, aber all das wurde durch mein Mitleid mit der kleinen weißen Gestalt überschattet, die da neben meinem Stuhl saß. »Komm doch her«, sagte ich, »und mach Hoppchen auf die To! Es ist doch nichts!«
Da hörte ich das neue Geräusch. Es hatte nichts
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