Puerta Oscura - 01 - Totenreise
Abend eigentlich nicht passte … Kein Grund jedenfalls, um eine offizielle Suche nach ihm zu starten. Sie konnte nicht aus einem Impuls heraus eine Polizeioperation anordnen. Im Grunde hatte der Lehrer gegen keinerlei Gesetz verstoßen.
Trotzdem kam ihr alles, was mit Varney zu tun hatte, merkwürdig vor. Die Lüge, was das Festnetztelefon anging, seine Fähigkeit, sich mitten auf der Straße in Nichts aufzulösen, seine Wohnung, die er tagelang nicht aufgesucht hatte … Das war alles sehr merkwürdig.
»Nur wer etwas zu verbergen hat, benimmt sich so seltsam«, dachte sie.
Marguerite klingelte ein drittes Mal. Nichts. Sie konnte auch kein Auto sehen, das näher kam. Und es war schon spät.
Während sie also wieder auf ihren Wagen zusteuerte, kam ihr der Gedanke, morgen noch einmal die Leichname der beiden jungen Leute anzusehen, vielleicht war ihr etwas entgangen. »Tote reden«, sagte sie zu sich. Mit resigniertem Lächeln dachte sie an ihren Kollegen Marcel Laville, dem dieser Satz gefallen hätte.
Marguerite stieg in ihren Wagen. Obwohl es schon spät war, würde sie nicht nach Hause, sondern ins Kommissariat fahren, um noch ein bisschen zu arbeiten. Wenn sie diesen Varney schon nicht traf, konnte sie ihn zumindest überprüfen. Sie wollte alles über ihn wissen, und das war mehr, als in seiner Schulakte stand.
Besorgt blickte sie zum dunklen Himmel hinauf. Die Verbrechen, die sie gerade untersuchte, hatten nachts stattgefunden, und zwar in einer einzigen Nacht: Halloween. War die Ruhepause, die der Serienmörder ihnen, der Polizei, gegönnt hatte, womöglich vorbei?
Nur allzu gern hätte sie gewusst, was Varney gerade tat.
40
UNBEWUSST NAHMEN SICH Pascal und Beatrice bei der Hand, als sie in gespanntem Schweigen den dunklen Gang betraten, der sie in den Kronosfelsen hineinführte. Für Pascal war es, als ob dieser Eingang einen unsichtbaren Vorhang besaß, der das Innere von allem abschottete.
Sie gingen den Gang entlang, der in einen sechseckigen Raum führte, wo sich an jeder Wand wiederum eine sechseckige, geschlossene Tür befand. Die Ausgänge in die verschiedenen Epochen …
Pascal und Beatrice blieben stehen. Das war also die Kammer zu den Zeitreisen. Der Moment war gekommen, eine der Möglichkeiten auszuwählen. Pascal zog den durchsichtigen Stein aus seiner Hosentasche und richtete ihn auf jede Tür, um zu sehen, ob er zu blinken begann. Am Schluss blieben drei Türen übrig, bei denen der Stein am hellsten aufgeleuchtet hatte.
»Ob sie Mathieu wohl finden?«, fragte sich Pascal laut, während er abwechselnd die drei Türen betrachtete.
»Bestimmt.« Beatrice war in der Mitte des Raums stehen geblieben. »Deine Freunde sind die ganze Zeit für dich da. Mach dir keine Sorgen.«
Pascal holte tief Luft, dann deutete er vor sich.
»Welche nehmen wir?«
»Du bist der Wanderer. Du entscheidest.«
Die Türen sahen alle gleich aus.
»Überleg nicht lange«, fügte sie hinzu. »Nüchtern betrachtet, erwartet uns hinter jeder das Gleiche: eine dunkle, vergangene Epoche.«
»Du hast ja recht.«
Wieder beschlich ihn Angst, vor dem Unbekannten, vor Gefahren, denen er sich stellen musste … Allein der Gedanke an Michelle half ihm, diese Angst zu überwinden. Sich vorzustellen, dass sie eine Gefangene des Bösen war und er sie vielleicht in seiner Welt niemals wiedersehen würde, war einfach unerträglich.
Entschlossen zeigte Pascal auf einen der Ausgänge, in dessen Richtung der Stein hell blinkte, und sie gingen darauf zu.
»Bereit?«, wollte Beatrice wissen. »Sobald wir sie geöffnet haben, gibt es kein Zurück mehr.«
»Ja, bereit.«
Sie legten ihre Hände auf die sechseckige Tür und drückten dagegen. Ein schabendes Geräusch war zu hören, der Flügel öffnete sich, und in Sekundenbruchteilen wurden sie in die Dimension dahinter gesogen. Ihnen blieb nicht einmal Zeit zu einem erstaunten Ausruf; schon befanden sie sich in freiem Fall und stürzten blind in den Raum, während sich hinter ihnen die sechseckige Öffnung wieder schloss.
Sie spürten, wie sie flogen, auch wenn es keine festen Punkte gab, an denen sie das fixieren konnten. Das, was sie umhüllte, fühlte sich bisweilen sogar wie eine Flüssigkeit an, weshalb sie nicht ausmachen konnten, ob sie in diesem undefinierbaren Etwas schwebten oder schwammen.
Mit allen Sinnen versuchte Pascal zu erfassen, was mit ihm geschah, und überwältigt wurde ihm bewusst, dass er durch die Zeit reiste. Was für ein Gefühl!
***
»Es geht
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