Puerta Oscura - 01 - Totenreise
sich verstohlen umzusehen, ob nicht inzwischen an einem der Nachbartische jemand saß.
»Es ist eine seltsame Welt«, erzählte er. »Dieser merkwürdige lichte Pfad, die vollkommen leere Stille, diese Toten, die alle darauf warten, dass das Gute sie holt. Sie sehen noch genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie starben. Man kann ihre Körper berühren. Ihre Haut ist eiskalt. Und ihre Augen sind glanzlos. Na ja, wie sollen sie auch glänzen, wo es in dieser Dimension so gut wie kein Licht gibt?«
Pascal wich dem skeptischen Blick seines Freundes aus. Was Dominique dachte, war ihm deutlich anzusehen: Was für eine verrückte Geschichte!
»Sie haben mich sehr gut behandelt«, fuhr Pascal fort. »Sie waren es auch, die mir die Kleider für die Halloweenparty gegeben und mir das mit der Dunklen Pforte erklärt haben.«
Fast bewunderte Dominique den Einfallsreichtum seines Freundes, mit dem der sich seine Geschichte ausgedacht hatte.
Er grinste. »Mal sehen, ob ich das alles so richtig verstanden habe«, sagte er. »Die Truhe bei den Marceaux ist also die Tür zu dieser Welt?«
»Ja. Doch Jules’ Familie weiß das nicht, weil die Tür sich nur unter ganz bestimmten Bedingungen öffnet. Ich war auch nicht dafür ausersehen, der neue Wanderer zu werden. Es war ein Zufall.«
»Wer weiß«, wandte Dominique halb ernst ein, um den Freund nicht vor den Kopf zu stoßen. »Die Wahrsagerin wusste es doch wohl; sie hatte also recht, stimmt’s?«
»Die alte Daphne ist dem Zufall lediglich zuvorgekommen.«
Sie schwiegen einen Moment und Pascal griff nach seinem Glas, um einen Schluck Wasser zu trinken.
»Auch wenn diese Welt … ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, neutral ist, herrscht dort keine friedliche Atmosphäre. Es gibt Gefahren.«
»Aber sie sind tot, wenn man dir glauben will«, wandte Dominique ein. »Was soll ihnen schon passieren?«
»Das Böse lauert dort in der Dunkelheit«, antwortete Pascal. »Und es ernährt sich von den Seelen der Toten oder ihrem Geist oder was weiß ich. Das Böse hat außerdem sein eigenes Gebiet, es existiert mitten im Zwischenreich. Es gibt eine Grenze zwischen beiden …«
Pascal war klar, dass all dies für Dominique schwer verdaubar war, deshalb erzählte er lieber nichts von Delaveaus Tod und der Anwesenheit seines Mörders in der irdischen Welt, hier, in Paris. Eine Anwesenheit, die auch ihn selbst betraf …
»Pascal.«
»Ja?«
»Was du mir hier erzählst – das meinst du doch nicht ernst, oder? Nimmst du irgendwelche Drogen? Du hast vielleicht irgendeinen Quatsch gemacht, aber das ist nicht schlimm … Du hörst einfach wieder auf damit.«
»Nein, Dominique. Du weißt, dass ich keine Drogen nehme. Ich bin auch nicht betrunken. Was ich dir erzählt habe, ist wahr, so wahr, wie wir hier sitzen. Du musst mir glauben, du bist der Einzige, der davon weiß.«
»Na, dein Glück, dass du so schweigsam bist, sonst wärst du bereits in der Sprechstunde irgendeines Psychiaters.«
»Dominique, ich brauche deine Hilfe.«
Doch der schnaubte.
»Ist dir klar, was du von mir verlangst?« Er wurde lauter. »Ich bin dein Freund und du kannst jederzeit auf mich zählen, das weißt du. Aber es ist nicht leicht, dir diese Zombiegeschichte abzunehmen. Was soll das? Willst du wegen Michelle ein Goth werden?«
Pascal stöhnte.
»Wie kann ich dich nur überzeugen?«
»Du hältst also an deiner Paranoia, deinem Wahnsinn fest?«
»Es ist kein Wahnsinn. Es ist die Wirklichkeit, Dominique.«
»In Ordnung, ich habe eine Idee, wie du mich von deiner Geschichte überzeugen kannst.«
»Lass hören.«
»Der Friedhof, den du angeblich besucht hast, ist Montparnass e, stimmt’s? Und nehmen wir einmal an, dass du noch immer diese … diese Reisen machen kannst.« Pascal nickte. »Okay, meine Großmutter ist dort begraben. Sie starb, als ich sechs Jahre alt war, und meine Eltern haben mich einen Abschiedsbrief schreiben lassen und ihn in ihren Sarg gelegt. Er steckt in einem Umschlag.«
Er räusperte sich. »Ich erinnere mich noch genau daran, was ich geschrieben habe. Nur ich kenne den Brief. Wenn du mir sagst, was drinsteht, hast du mich überzeugt.«
Die beiden schauten sich einen Augenblick lang an.
»Einverstanden«, sagte Pascal, »mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«
»Hör mal, Pascal, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten«, lenkte Dominique jetzt ein, »aber was du da erzählst, klingt so fantastisch. Du weißt, dass ich ein sehr rationaler Mensch bin, und es kostet
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