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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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gelingen will, eine nicht saubere Note auf der Gitarre zu spielen. Wir müssen auch hier wieder gegen unsere Erziehung und unsere anthropologischen Vorurteile anarbeiten, denn vorgefasste Meinungen helfen uns auf dieser Ebene nicht weiter. Das hehre Ziel, nicht zu denjenigen zu gehören, die unbewusst die Armut der kleinen Leute, ob schwarz oder weiß, fetischisieren, hat es uns erlaubt, in einer Haltung zu verharren, bei der wir uns nie die Frage stellen mussten, ob der ernsthafte Umgang mit gewissen Spielarten von folk culture als Hochkultur nicht seinen Ausgang beim Volk selbst nimmt.
    Wenn beide Bücher eine Schwäche haben, dann die, dass sie diesen Gedankengang nur unzureichend verfolgen. »Niemand in der Welt des Blues nannte diese Musik Kunst«, schreibt Wald. Stimmt das? Carl Sandburg hat schon 1927 Blues-Texte in seine Gedichtsammlungen aufgenommen. Noch eindeutiger liegt der Fall bei Ethel Waters, einer der kultivierten »Blues-Queens« aus der Stadt, die mit ihren Texten und Melodien lustigerweise häufig auf den »unverwässerten« Original-Country-Blues-Aufnahmen auftaucht, obwohl sie schon damals seit Jahren reflektierten, modernistischen Blues schrieb. ( »I can't sleep for dreaming . . .« zum Beispiel ist eine ihrer Zeilen, die ich zuerst bei Crying Sam Collins gehört habe und für eine seiner schönen Wortverdrehungen hielt, bis ich schließlich be
schämt erfuhr, dass diese Worte schon immer poetisch gemeint waren.) Marybeth Hamilton kommt in ihrer durchaus wohlwollenden Autopsie von James McKunes Besessenheit der These gefährlich nah, dass McKune der Erste war, der Skip James so gehört hat, wie wir ihn heute hören: als wahren Künstler. Aber der Erste, der Skip James als Künstler gehört hat, war Skip James. Die namenlosen Afroamerikaner, die in Walds Beschreibung in einem Haus in Tennessee auf dem Boden saßen und weinten, als Robert Johnson »Come On in My Kitchen« sang: Sie waren die Ersten, die den Country Blues auf diese Art gehört haben. Gut, Weiße haben den Blues »wiederentdeckt«. Immerhin sprechen wir endlich über die damit einhergehenden Schwierigkeiten. Wir sollten nur nicht den Verstand verlieren und behaupten, diese Weißen hätten den Blues erfunden. Und auch ihren »Visionen« nicht versehentlich zu viel Macht zusprechen. Das wäre kontraproduktiv, wenn nicht gar eine große, letzte Beleidigung.
     
    Es gibt da diesen einen Moment in der Charley-Patton-Werkausgabe auf Revenant (auf den Material- CD s), einen Moment in einem Interview von Gayle Dean Wardlow. Wardlow spricht mit Booker Miller, einem wenig bekannten Musiker aus der Vorkriegszeit, der Charley Patton noch persönlich gekannt hat. Man hört Wardlow, der ein hinterhältig guter Interviewer war – immer wieder ging er in dieser Rain-Man -Manier auf seinen Gesprächspartner zu, bis der sich als der weniger Hilflose fühlte –, wie er Miller dazu bringen will, das Aufnahmeritual zu beschreiben, mit dem er bei dem älteren Patton in Ausbildung komme wollte. »Haben Sie ihn in einer Spelunke getroffen«, fragt Wardlow, »oder auf der Straße?« Wie haben Sie sich gefunden? Genau die Sorte Fragen also, die jeder stellen würde.
    Booker Millers Antwort aber lautet: »Ich habe seine Platten verehrt.«

Der letzte Wailer
    Anfang Juli 2010 flog ich in der Hoffnung nach Jamaika, Kontakt zu Bunny Wailer aufzunehmen, dem letzten noch lebenden Mitglied der Wailers, Bob Marleys erster Band. Falls Sie nicht wissen, wer Bunny Wailer ist – und von denen, die das hier lesen, wird ein großer Teil ihn nicht kennen; die anderen werden es dumm finden, eine so wichtige Figur vorzustellen –, dann sollten Sie im Internet unbedingt einen Clip der Wailers suchen, wie sie bei The Old Grey Whistle Test , einer Musiksendung, die mal in der BBC lief, »Stir It Up« spielen. Es war 1973, ihre erste richtige Tour. Bunny steht links hinter Bob, er singt die hohe Stimme und wiederholt so einen Eins-zwei-Akzent mit dem Besen auf der Snare. Wailer ist wunderbar angezogen, er trägt ein burgunderrotes Shriners-Fes mit Quaste und einen Pullunder mit abstraktem Rastafari-Muster. Alle drei sehen aus, als könnten sie Teil von Fat Alberts Gang sein. Wahrscheinlich hat keine Musikgruppe je cooler ausgesehen. Peter Tosh war eine große, violette Sphinx mit einem unerklärlich schönen Falsett. Hätte Elvis den Raum betreten, hätte Tosh ihm vielleicht zugenickt.
    Es war schon lange mein Traum gewesen, Bunny Wailer einmal zu treffen – ein

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