Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
Vom Netzwerk:
, ich find's super, auch wenn's ein Fehler ist«, schrieb er.)
    Wir stiegen in einen weißen Lieferwagen, für den er sich entschuldigte, sein guter Wagen sei in der Werkstatt, aber am nächsten Tag fertig. Mich störte der Lieferwagen nicht; er bot eine gute Aussicht auf Kingston, während wir an Standbildern knallbunter Straßenkreuzungen vorbeiruckelten. Llewis hatte sich erkundigt und wusste, wo man gebrauchte Vinylschallplatten bekommen konnte. Er zeigte mir ein paar Sachen aus den frühen Achtzigern, die ich noch nie gehört hatte. Wir hörten uns Papa Michigan und General Smileys »Diseases« von 1982 an. Der Text war verstörend, die Musik mitreißend. Das Stück warnte davor, an Nichtigkeiten festzuhalten (»worship vanities«), da dies Jah Jah nicht gefalle (»these things unto Jah Jah not pleases«). Wer trotzdem so weitermache, den erwarteten die schlimmsten Krankheiten, Elefantitis zum Beispiel oder Kinderlähmung:
     
    »Mind Jah lick you with diseases!
    I said the most dangerous diseases.
    I talkin' like the elephantitis.
    The other one is the poliomyelitis.«
     
    Es war Sommer. Der Geruch von Benzin und Müll und die brutale Hässlichkeit der industriellen Uferviertel von Kingston versetzten einen in Alarmbereitschaft. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass der Himmel abzusacken schien, es war, als lägen einem die Wolken auf den Schultern. Es war irgendwie schön, wie General Smiley »Poliomyelitis« sagte; er sprach das Wort wie Polya aus, »Polyamyelitis«.
    Llewis hatte es überhaupt nicht gewundert, dass jemand nach Jamaika kam, um nach Bunny Wailer zu suchen, ohne zu wissen, wo er wohnte, und ohne die geringste Andeutung von Interesse oder Zustimmung von Bunnys Seite. Llewis verhielt sich, als hätte ich ihm gesagt, dass ich mich nach Import-Export-Möglichkeiten umsehen wollte. Er hatte Bunny zwei Jahre zuvor bei einem Festival in der Stadt auftreten sehen und fand ihn immer noch elektrisierend. Bunny sieht mit seinen Roben und dem weißen Bart auf der Bühne immer mehr wie ein Wüstenprediger aus. Llewis zitierte ein Gedicht, das Bunny vorgetragen hatte, etwas über diejenigen, die die Früchte des Reggae ernten wollen, ohne die Wurzel des Reggae wässern zu wollen.
    Wäre ich zuvor schon mal in Kingston gewesen, hätte die Stadt einen veränderten Eindruck gemacht. »So habe ich die Stadt noch nie gesehen«, sagte Llewis. »So war es hier nie.« Die Leute hielten die Köpfe gesenkt; man konnte sehen, dass die seelische Last, die auf der Stadt lag, durch die Gewalt des schon jetzt so genannten »Bloody May« weiter gewachsen war.
    Folgendes war passiert: Eine Welle brutaler Schießereien hatte die Innenstadt von Kingston überschwemmt und zu einer Art gegenseitiger Belagerung geführt. Das amerikanische Justizministerium hatte zuvor Jamaikas Premierminister Bruce Golding aufgefordert, den größten und mächtigsten Drogenboss der Insel, Christopher Coke (sein echter Name), auszuliefern. Coke wird Dudus genannt, was ich in den Nachrichten als »Dude-us« gehört hatte. Doch Llewis erklärte mir, er werde »Dud-us« ausgesprochen. »Dude-us wäre die schicke Variante«, sagte er. »Zu schick.«
    Dudus ist ein kleiner, dicker Mann mit einem Pfannkuchengesicht, der sich normalerweise im Hintergrund hielt und der immerzu über einen Witz in seinem Kopf zu grinsen scheint. Tausende lieben ihn für seine Qualitäten als Weihnachtsmann, wenn es darum geht, bei der Miete auszuhelfen oder eine Fuß
ballmannschaft mit Trikots auszustatten. Nach Angaben des FBI gehen tausendvierhundert (bekannte) Morde auf das Konto seiner Gang, der Shower Posse.
    Die Jamaikaner waren nicht besonders begeistert von der Idee, Dudus zu jagen. Die jamaikanische Politik ist auf abenteuerliche Weise korrupt, und viele Minister hatten Verbindungen zu dem Drogenboss. Golding versuchte, das Ganze irgendwie abzuwimmeln. Er engagierte sogar eine amerikanische Anwaltskanzlei, um den Auslieferungsantrag abzubiegen, doch am Ende verschärfte Washington den Druck.
    Coke sammelte seine Truppen. Er zog Kämpfer aus ganz Jamaika zusammen, Schmalspursöldner vom Land, die gut mit Waffen umgehen konnten. Schließlich versuchten die Polizei und die Sicherheitskräfte, ihn aus seinem Versteck zu holen. Er hatte Scharfschützen auf den Dächern postiert, überall Überwachungskameras installiert sowie seine Spione bei der Polizei und in den Ministerien. Der Kampf dauerte einen Monat. Viele Menschen wurden getötet, darunter viele

Weitere Kostenlose Bücher