Pulphead
erklärt uns, welche Entscheidungen Johnson traf, was er wann spielte, und unterbreitet im Offenlegen der Quellen, die Johnson in seiner Musik zusammenführte, variierte und würdigte, überzeugende Gründe dafür, warum er es spielte. Besonders gut ist Wald beim Vergleichen unterschiedlicher Versionen eines Stücks, wobei er uns kleinste Details von Johnsons Rhythmus- und Akkordarbeit hören lässt. Auf diesem Weg wird einem das Ausmaß von Johnsons Könnerschaft erst richtig bewusst. Indem man sich entlang bestimmter Stränge hangelt, kann man sein Vorgehen nachvollziehen. Blind Lemon Jefferson sang: »The train left the depot with the red and blue light behind / Well, the blue light's the blues, the red light's the worried mind.« Das war ein guter, flotter Vers, den Eddie und Oscar, ein piekfeines, fast etwas steifes Country-Blues-Duo aus North Carolina (Eddie war ein Weißer, Oscar ein Schwarzer), bereits kopiert hatten. Wahrscheinlich hatte Johnson die Zeilen von ihnen. Aber als er dann sang . . .
»When the train, it left the station, with two lights on behind,
Ah, when the train left the station, with two lights on
behind,
Well, the blue light was my blues, and the red light was
my mind.
All my love's in vain.«
. . . war das etwas anderes. Johnson wusste, dass es etwas anderes war. Er wusste, wie gut sein eigener Text war, er fühlte den Unterschied zwischen »the red light's the worried mind« und »the red light was my mind«. Immerhin war er es auch, der folgenden Paarreim schrieb: »From Memphis to Norfolk is a thirty-six hours' ride. / A man is like a prisoner, and he's never satisfied.« Den Blues im Blues zu hören, bedeutet zu einem Teil, den in bester, aber trotzdem fehlgeleiteter Absicht vor unsere Sinne gelegten soziologischen Filter zu entfernen und der Selbstwahrnehmung der frühen Blues-Musiker zuzuhören, zu hören, so schrieb es Samuel Charters in den Linernotes zu Henry Townsends Album Tired of Bein' Mistreated (1962), wie »sich der Blues-Sänger innerhalb der Grenzen des Blues-Stils als schöpferisches Individuum versteht«.
Es ist eine bemerkenswerte Gedankenreise, auf die Wald den Leser für ungefähr einhundert Seiten mitnimmt. Auch wenn der Buchumschlag mir in Aussicht gestellt hatte, mich in meiner staunenden Bewunderung für den Musiker Johnson eines Besseren zu belehren: Hinterher bewunderte ich ihn doppelt. Alles, was Johnson anfasste, wurde subtiler, trauriger. Die eher komischen Übergeschnapptheiten von Peetie Wheatstraw, dem selbsternannten »Schwiegersohn des Teufels«, glättete er so, dass sie zu seinem Teufel passten, dem Teufel der Melancholie, der wie ein Mensch geht und wie ein Mensch aussieht und den man sehr viel weniger leicht mit einem Lachen abtun kann.
Während Wald uns dazu erziehen möchte, dem Country Blues nicht mit Nostalgie, sondern mit einer erwachseneren Wertschätzung zu begegnen, indem er uns davon überzeugt, dass Folk immer irgendwann mal Pop war, kommt Marybeth Hamil
ton, eine in England lehrende amerikanische Kulturhistorikerin, auf den alten Begriff der Aura zurück, den sie hinsichtlich seiner Herkunft und seiner Substanz im Zusammenhang mit dem Blues befragt. Ihr Buch In Search of the Blues spürt der weißen Faszination für den Country Blues bis zu ihren Wurzeln im Hirn eines gewissen James McKune nach, einem spindeldürren, zurückgezogen lebenden, alkoholsüchtigen Redakteur der New York Times , der zum Vagabunden wurde und seine Kisten mit 78er-Schellackplatten unter seiner Pritsche in einer Jugendherberge von Brooklyn verwahrte. McKunes Geschichte war bisher nur den Lesern des 78 Quarterly bekannt. Er stammte aus North Carolina und starb 1971 elendiglich an den Folgen eines verunglückten Geschlechtsaktes. In den frühen vierziger Jahren war er einer der Ersten, die aus der Welt der Hardcore-Sammler von New-Orleans-Jazz ausbrachen, eine Welt, die in den Schlafsälen der Ivy-League-Unis entstanden und Ende der dreißiger Jahre schon zu einem äußerst komplexen Spezialistengebiet geworden war. Gewandt zeichnet Hamilton die Entwicklung von McKunes Geschmack nach. Angefangen hatte er als von kommerziellem ethnografischen Material Besessener, beispielsweise den auf dem Columbia-Label erscheinenden Tanzliedern aus bestimmten Regionen Spaniens. Anders gesagt: Er hegte ein Interesse für kulturell wertvolle Dinge, die zufälligerweise an einem Zahnrädchen des anarchischen Kapitalistenschredders hängengeblieben und
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