Pulphead
einen Bissen Stinking Toe esse, während Bunny mich beobachtet und gackernd über mein Gesicht lacht, während ich die Wunder dieser Frucht erlebe wie Willy Wonka aus Charlie und die Schokoladenfabrik .
»Und es ist ein Stimulans«, sagte Bunny und schlug mir aufs Knie. »Davon kriegst du eine Latte. Wie die Schale – es macht deinen Schwanz so hart wie die Schale.«
Das Singen auf der anderen Straßenseite hatte schon lange aufgehört; genau wie der Regen. Es war sehr spät geworden. Da war nur noch eine Sache: Ich wollte mit ihm zusammen »Let Him Go« aus den kleinen Boxen anhören. Während ich das Lied suchte, ging er die anderen Rude-Boy-Songs dieser Zeit durch. Er erinnerte sich an alle. »Dieser Song hier hat den [Rude-Boy-]Krieg beendet«, sagte er. »Nach ›Let Him Go‹ haben sie nicht weitergemacht.« Auf diesen Song gab es nie eine Antwort. Das Lied fing an, und Bunny sang mit. Er klang fantastisch. Dieser knisternde Klang.
»You frame him, you say things he didn't do,
You rebuke him, you scorn him, you make him feel blue.
Let him go . . .«
Er warf den Kopf nach hinten. »Lloyd Knibbs«, sagte er, und damit meinte er den Schlagzeuger der Skatalites. Wir drei lehnten uns nach vorne. Bunny hatte die Hände zwischen die Oberschenkel gepresst. Sogar auf meiner kleinen Anlage aus dem Supermarkt füllte die Musik den Schuppen mit einer goldenen Atmosphäre.
Als das » So! « näherrückte, sah ich ihm in die Augen. »Das, was jetzt gleich kommt«, sagte ich über die Musik, »dieses › So! ‹ Wer ist das?«
Bunny schlug sich auf die Brust. »Das bin ich, Mon !« Als wäre er enttäuscht, dass ich fragte.
Um es zu beweisen, stand er von seinem Stuhl auf. Ich lehnte mich zurück, um ihn besser sehen zu können. »Jetzt kommt Vision«, sagte er (damit war Constantine »Vision« Walker gemeint, der 1966 für Bob eingesprungen war). Bunny bewegte seine Hand in Wellenlinien, während Vision sang: » Remember he is smart, remember he is strong .« »Und jetzt komm ich«, flüsterte Bunny. Er schob seinen Kopf vor und hauchte seine Zeile von damals in ein imaginäres Mikrofon wie ein Geist: Remember he is young, and he will live long . Dann zog er den Kopf schnell zurück, zeigte mit dem Finger in die Luft – ein »Aha!« – und rief: » Sooo! «
Er war es.
Drei Monate nach meinem Besuch verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Bunny und mir. Er war sauer, und nicht einmal die mythische Süße der Stinking-Toe -Marmelade hätte das ändern können. Das Magazin schickte den Weltklassefotografen Mark Seliger mit seinem Team nach Kingston, um ihn zu fotografieren. Bunny wollte nicht mitmachen, doch am Ende war er einverstanden (zumindest verstand ich unsere Unterhaltung so). Wir baten um fast nichts, lediglich um eine Stunde in seinem Haus. Zugleich baten wir um sehr viel: Wir wollten sein Gesicht. Ich verstand ihn und versuchte feinfühlig zu sein.
Aber er wurde am Telefon immer schwieriger und argwöhnischer. Wir bekamen Post von einem Anwalt. All dies geschah, nachdem unsere Fotocrew in Kingston gewesen war. Hotelrechnungen, Spesen, Umbuchungskosten für Flugtickets. Mein letztes Gespräch mit Bunny artete in Feindseligkeit aus. Er nannte mich ras clot und bumba clot , die schlimmsten Sachen, die man in Jamaika zu jemandem sagen kann. Ich bin nicht hundertprozentig sicher, was diese Wörter bedeuten, aber offenbar haben sie etwas mit gebrauchten Tampons oder einem ass rag zu tun – ein paar Lagen Klopapier, die bei Durchfall in die Unterhose gesteckt werden. Er warf mir vor, ihn mit der ganzen Fotogeschichte in die Ecke gedrängt und ihm dann die Schuld zugeschoben zu haben. Vielleicht habe ich das auf gewisse Weise sogar getan. Er schimpfte. Er erinnerte mich daran, dass er ein Revolutionsführer war. Wusste ich denn nicht, dass er sein Gesicht verstecken musste? »Kennst du Bunny Wailer?«, fragte er. »Kennst du I and I ?«
Nein, gab ich zu, ich kannte ihn nicht.
Er beschwor eine dunkle Wolke von Patois-Flüchen herauf. Minutenlang verstand ich nichts. Dann legte er auf. Er sollte mich nie wieder zurückrufen. Ich wurde zu einem unbeantworteten Klingeln in den Taschen seiner wunderbaren Anzüge.
Ich hatte kein Problem damit. Es fühlte sich richtig an, von Bunny Wailer abgewiesen zu werden. »Was kann das GQ -Magazin für I and I tun?«, hatte er wissen wollen. Nichts, war die Antwort. Wir kamen aus Babylon; er schickte uns dorthin zurück, in unsere Garrisons. Die
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