Pulphead
durch Marcus Garvey inspirierten panafrikanistischen Zionismus befeuert, für die Wiederkunft Christi hielten. Als Ras Tafari (amharisch für »furchtloser Prinz«) auf dem Flughafen von Kingston landete, war er von der Intensität des Empfangs so überwältigt, dass er direkt umdrehte und aus Angst um sein Leben zurück ins Flugzeug ging. Einer der Anführer der Rastafaris, der wie Johannes der Täufer eine einfache Tunika trug, erhielt die Erlaubnis, an Bord zu gehen. Er erklärte Selassie, dass die Masse nur aus Liebe zu ihm so heftig reagierte. Selassie soll geweint haben. Bunny Livingston war an diesem Tag dabei. »Wer Seine Kaiserliche Hoheit damals nicht gesehen hat, wollte nicht«, sagte er. Wie viele in der Menge fühlte er den Blick des Herrschers auf ihm persönlich und zugleich auf allen. Es gab noch andere solche Mystics (Zeichen des Göttlichen). Ein Regenschauer kam und ging, und Tausende wurden nass und sofort wieder trocken. Einige Rastas feuerten ihre Bongs an, und am Himmel über ihnen explodierte ein Flugzeug. Ihnen waren Kräfte verliehen worden. Bunny sah einige Sisters der Moravian Church, ganz in Weiß mit schwarzen Gesichtern, die die Straße entlangtanzten, Palmwedel schwangen und Hosianna sangen, »weil Er war, wer Er war«, sagte Bunny. »Weil Er ist, wer Er ist.«
Ich hatte ein paar kleine Lautsprecher mitgebracht. Wir hörten uns »Fighting Against Convictions« an, das Lied, das er während seiner vierzehn Monate Zwangsarbeit geschrieben hatte, die er um 1967 hauptsächlich im Richmond Farm Prison verbrachte. Es klagt das Urteil an und beginnt mit »Bat
tering down SEN -tence«, mit einer überraschend hohen Note auf dem » SEN «. Ich sagte ihm, wie ungewöhnlich die Melodie für mich klang, dass sie mich sofort gepackt hatte. Einige der älteren Aufseher hätten ihm nicht gestattet, dieses Lied zu singen, sagte er, selbst wenn die anderen Gefangenen es sich wünschten. »Das Wichtigste ist«, sagte er, »dass die Melodie die Botschaft deiner Gefühle singt. Im Gefängnis muss es eine klagende Melodie sein«, – wailing war sein Wort – »eine Melodie, die echte Erfahrung zeigt, die zeigt, dass du nicht nur über irgendetwas singst, das du nur vom Hörensagen kennst«.
Ungefähr in diesem Moment erlebte ich etwas, das ich mir nur als eine Art kurzzeitige Halluzination erklären kann. Seltsame Dinge geschahen mit Bunnys Gesicht, während er sprach. Verschiedene Rassen wurden in seinen Gesichtszügen sichtbar – schwarz, weiß, asiatisch, indisch, das ganze transnationale menschliche Durcheinander, aus dem die Karibik besteht. Die komplette atlantische Welt rauschte durch sein Gesicht. Mir kamen derart krypto-kolonialistische Gedanken, dass ich genauso gut einen weißen Safarihut auf dem Kopf haben und ihn durch ein Monokel hätte betrachten können. Wie aus dem Nichts fing Bunny an, über Obst zu sprechen, über all die fremden Früchte, die in Jamaika wachsen. Mir gefiel seine bodenständige Liebe zu seiner Heimat, der Grund, warum er niemals von hier weg konnte. »Ich rede von der Annona und vom Zimtapfel. Ich rede von der Sapodilla und der Goldpflaume. Brotfrüchte.« (Der Baum, unter dem sich die Original-Wailers in Joe Higgs' Garten getroffen hatten, war ein Coolie Plum , eine Indische Jujube. In Trenchtown habe ich eine probiert. Ziemlich köstlich.)
»Wir haben Ginep«, sagte Bunny. »Ich hab noch nirgendwo sonst auf der Welt Ginep gesehen. Es gibt eine Frucht, die wir Stinkender Zeh nennen, Stinking Toe . Die ist so trocken, dass man genau wissen muss, wie man sie isst – am Staub der Pollen kann man ersticken.« Er sprang auf. Ein agiler Mann. »Ich
hab was da«, sagte er. »Ich hab ein bisschen Stinking Toe da. Ich gieß ein paar Tropfen Traubenzuckersirup drüber und mache Gelee daraus. Probiert mal«, sagte er. Er kratzte ein bisschen vom Boden des Behälters. Der Heuschreckenbaum, Hymnaea courbaril . Er warnte mich, dass dies das Trockenste sei, das ich je essen würde. Mein Mund war schon vom Kiffen wie Watte. Keine Ahnung, wie lange ich brauchte, um diesen einen Bissen zu essen. Allein mir das Zeug anschließend aus den Zähnen zu kratzen, dauerte zwanzig Minuten. Doch die Süße im Kern dieser Frucht ist die seltsamste, überraschendste Süße. Es ist, als würde man tagelang durch die Wüste kriechen und dann zu einem winzigen Busch kommen, der extrem süße Früchte trägt. Eine Seite im Buch meines Lebens ist für die Geschichte reserviert, wie ich diesen
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