Pulphead
geben.«
»Erster Korintherbrief«, sagte ich.
»Acht dreizehn«, sagte Darius.
Ich erwachte, ohne geschlafen zu haben, ein widerliches Gefühl, und jetzt lag ich da und wappnete mich innerlich für die Herausforderungen von Praise and Worship. Als mir das Warten zu lang wurde, kochte ich Wasser und machte Instant
kaffee, den ich brühend heiß aus dem Deckel des Erdnussbutterglases trank. Mein Körper roch wie ein erkaltetes Lagerfeuer. In meinen Haaren waren Blätter, Asche und anderes Zeug. Ich dachte kurz daran, unter die Dusche zu gehen, aber ich hatte es schon zwei Tage geschafft, nichts von der Bordausrüstung meines Wohnmobils in Anspruch zu nehmen, und es wäre dumm gewesen, jetzt klein beizugeben.
Ich setzte mich auf den Fahrersitz und sah durch das getönte Glas zu, wie kleine Christengrüppchen vorbeizogen. Sie sahen aus, wie Leute überall aussehen, nur heiterer und eigenständiger. Vielleicht sahen sie aber auch nur aus, wie die Leute überall aussehen. Was weiß ich. Meine Pseudo-Anthropologen-Energie war aufgebraucht. Ich stieg aus und wanderte herum. Setzte mich zu den Menschen vor die Bühne, auf der ein rothaariger christlicher Redner vor und zurück rannte. Wie aus dem Nichts kreischte er plötzlich: » Ihr möget bedeckt sein von der Asche unseres Rabbi Jesus !« Würde ich versuchen, Ihnen an dieser Stelle die Lautstärke seines Kreischens angemessen zu vermitteln, würden Sie mich für einen Schwätzer halten.
Ich taumelte durch die Reihen der Fressbuden, als vor meinen Füßen ein Mann starb. Er stand am Fenster des Spritzkuchenstands. Er war dick, Anfang sechzig, trug kurze Hosen und ein kurzärmeliges Button-Down-Hemd. Und er . . . starb einfach. Ein Herzinfarkt. Ich stand da, und er fiel. Keine Ahnung, ob es im Gehirn eine primitive Region gibt, die auf die Wahrnehmung solcher Dinge geeicht ist, aber ich wusste in der Sekunde, in der er aufschlug, dass er tot war. Die Sanitäter stürzten sich so schnell auf ihn, dass es merkwürdigerweise wirkte, als hätten sie nur darauf gewartet. Immer und immer wieder bearbeiteten sie seinen Brustkorb, bliesen in seinen Mund, legten Infusionen. Der Krankenwagen traf ein und mit ihm noch mehr Gerät. Auf dem breiten Gesicht des Mannes lag dieser leicht missmutige Ausdruck, wie man ihn oft bei gerade Verstorbenen sieht.
Menschen hatten sich um uns versammelt; manche dachten, alles sei nur Show. Eine Frau neben mir sagte bitterlich: »Das ist keine Show. Ein Mann ist gestorben.« Sie fing an zu weinen und nahm meine Hand. Sie war klein, hatte Silberhaar und schwarze Augenbrauen. »Es geht ihm gut, es geht ihm gut«, sagte sie. Ich sah ihr von der Seite ins Gesicht. »Beten Sie für seine Familie«, sagte sie. »Ihm geht es gut.«
Ich ging zum Wohnmobil zurück und hatte einen gigantischen Kollaps. Ich brach hemmungslos in Tränen aus, hörte dann aber aus irgendeinem Grund abrupt wieder auf. Ich fühlte mich auf unsinnige Weise nackt und allein. Was für ein Idiot ich gewesen war – zu denken, diese Reise würde ein Späßchen werden. Hier waren viel zu viele Geister. Alle kamen mir so fremd und so vertraut vor. Außerdem war ich vermutlich ausgehungert. Das Froschfleisch war zwar vorzüglich gewesen, aber mager – das hatte sogar Jake zugegeben.
Inmitten von all dem, gedämpft durch die Außenhülle des Neun-Meter-Mobils, hörte ich plötzlich Stephen Baldwin auf der kleineren Seitenbühne, wo die etwas »ausgefalleneren« Acts auftreten, einen Vortrag halten. Wer bei den Baldwin-Brüdern immer durcheinanderkommt: Stephen ist der entfernt Höhlenmenschartige, der seinen Pony früher immer glatt nach vorne gekämmt hat und Staubmäntel trägt. Ich hatte ihn wenige Monate zuvor bei einer religiösen Talkshow im Fernsehen gesehen. Ihn und Gary Busey, einen anderen Schauspieler. Was Baldwin sagte, weiß ich nicht mehr, aber Busey redete derart wirres Zeug, dass selbst der Moderator nervös wurde. Er hat es mit dem »Fluch der Generationen«. Wenn Sie sich fragen, was das sein soll – da kann ich Ihnen nicht helfen, tut mir leid. Ich war zwar mal wiedergeboren, aber auf LSD bin ich nicht großgezogen worden.
Baldwin sagte eine ganze Menge da auf der Bühne, und was er sagte, wurde schräger und schräger: Sein brasilianisches Kindermädchen Augusta habe ihn und seine Frau in Tucson be
kehrt, womit sich eine Prophezeiung erfüllt habe, die das Kindermädchen einst von ihrem Prediger in der Heimat bekommen habe. Gott habe »9/11 geschehen
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