Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
Vom Netzwerk:
»Nein, Dad!« zu rufen und das Fliegengitter hinter sich zuzuschlagen. Meine Mutter und meine neunzigjährige kubanische Schwiegergroßmutter pressten ihre Gesichter an die Scheibe der Verandatür und winkten ihr bei jedem Take zu. Umsonst baten wir die beiden, sich wieder hinzusetzen. Hilarie winkte ihnen zurück, wobei sie das Winken einfach in ihr Spiel integrierte. » Nein , Dad!« (Tür zuschlagen, lächeln, winken, umdrehen.) »Dad, nein!« (Tür zuschlagen, lächeln, winken, umdrehen.)
    Ob sie vielleicht ein paar schwarze Bohnen wolle, fragte die kubanische Oma. Wo sie doch so dürr sei!
    »Nein, nein, ich habe keinen Hunger. Aber vielen Dank.« (Zu meiner Frau, hinter vorgehaltener Hand: »Die sind ja süß!«)
    Peyton veranstaltete hinten im Garten ein Grillfest. Grill, Burger, Campingtische, alles war bei Einbruch der Dunkelheit wieder weg. Am nächsten Morgen segelte dann irgendwann geräuschlos ein Scheck durch den Türschlitz. Gut gepasst hät
te einer dieser Erzählerkommentare, wie er so oder so ähnlich am Ende jeder One Tree -Folge zu hören war: Ist zwar alles ein bisschen merkwürdig, wird aber schon irgendwie gutgehen.
     
    Dann passierte etwas während des Set-Aufbaus. Eigentlich nur eine Kleinigkeit, aber die Symbolik war so offensichtlich, so klar erkennbar, dass ich ihr wirklich mehr Aufmerksamkeit hätte schenken sollen. Sie tapezierten das Treppenhaus und befestigten Wandleuchten.
    Es war der erste zaghafte Trippelschritt auf das Territorium jenseits der Greg-Grenze, dieser Linie um die beiden vorderen Zimmer. Es war das erste schüchterne Tentakeltasten, das erste Rankenragen.
    »Aber Greg hat eindeutig gesagt, nur die beiden vorderen Zimmer.«
    »Wir drehen ja auch nur da. Aber alles, was man aus diesem Zimmer heraus sehen kann, muss doch auch zu ihrem Haus passen. Wegen der Continuity.«
    Überflüssig zu erwähnen, dass wir nicht zugegen waren, als Peyton ihre Tapete aussuchte – oder als einer ihrer verschollenen Elternteile sie aussuchte. Sie war ja gar nicht hässlich oder so. Sie war einfach nur düster. Nichts an dieser Tapete hatte etwas von frisch verheiratet, frisch geboren oder auch nur irgendwie frisch. Und es war unser Treppenhaus. Durch das wir tagtäglich hoch- und runtergingen. Das Treppenhaus ließ sich nicht so einfach meiden wie die beiden vorderen Zimmer, die wir mittlerweile wie die gute Stube behandelten. In der nur Peytons Geist hauste.
    Die Tapete war auch gar nicht das Hauptproblem, sondern diese merkwürdige Sache, die die Filmtypen machten, sobald sie mit ihr im oberen Stock angekommen waren. Sie hörten nämlich mitten auf der Wand mit dem Tapezieren auf. Die Tapete wand sich um die Ecke am Treppenabsatz, damit man nach oben filmen konnte, und sie ging auch noch ein Stück
weit den Flur hinunter, aber ungefähr einen halben Meter vor der ersten Zimmertür, dem ersten natürlichen Hindernis, brach sie einfach ab. Die Wand war zur Hälfte tapeziert und zur Hälfte gestrichen, und zwar waagerecht getrennt. Es sah schlimm aus, und hier spricht jemand, der in einer Pappschachtel glücklich sein könnte, wenn seine Liebsten mit drin wären.
    Als wir am nächsten Morgen auf diese Unregelmäßigkeit hinwiesen, besserten sie sofort nach. Man kann kaum von einer Unannehmlichkeit für uns sprechen. Die Crew war hyperprofessionell (was Filmcrews eigentlich immer sind – die andauernde zeitliche Intensität ihrer Arbeit bringt einen Selbstreinigungsmechanismus hervor, der die Faulen und Schlampigen aussortiert). Befremdlich war einfach, dass sie, die doch ansonsten in allem so akribisch waren (sie machten tatsächlich Fotos von unseren Bücherregalen), etwas derart Eklatantes übersahen. Die Tapete ging exakt bis zu der Stelle, an der das beschränkte Blickfeld der Kamera endete. Was die Kamera nicht sehen konnte, war nicht so richtig real.
     
    Wenn unsere Tochter später einmal feststellen sollte, dass sie an ihre ersten zwei Lebensjahre, wie manche andere Menschen auch, irgendwelche kontextlosen, rein visuellen, prä-erinnerungsmäßigen Erinnerungen hat, dann werden das Erinnerungen sein an eine Suite im Riverside Hilton im Stadtzentrum von Wilmington. Beige erhebt sich das Hotel neben dem Cape Fear River. Meine Güte, was haben wir dort viel Zeit verbracht. Man kannte uns schon an der Rezeption. Wir entwickelten ein Kissenspiel. Eigentlich war es kein Spiel, sondern ein Kinder-Stunt, der sich endlos wiederholen ließ. In der Mitte des King-Size-Betts stapelten wir

Weitere Kostenlose Bücher