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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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jedes in der Suite auffindbare Kissen, vielleicht ein Dutzend, und legten unsere Tochter wie die Prinzessin auf der Erbse ganz oben drauf, dann ließen wir das Ganze wie einen einstürzenden Turm auf dem Bett zusammenkrachen. Sie lachte, bis sie Schluckauf bekam. Da war sie natürlich
schon ein Kleinkind. Einen Säugling würde man ja nicht derart in der Gegend herumwerfen, obwohl man bei einem Säugling – Säuglinge sind so einfach ins Gleichgewicht zu bringen – auch noch mehr Kissen hätte nehmen können, fünfzehn vielleicht oder zwanzig. Meine kubanische Schwiegergroßmutter bekam ihr eigenes Zimmer und hütete abends das Baby, während wir mit unseren Essensgutscheinen in die Restaurants am Fluss einfielen. Morgens erwachte ich bei Sonnenaufgang, sogar noch vor dem Baby, und saß in dieser stillen Stunde lesend am Fenster. Noch besser wurde es, als sie uns ein Zimmer zur Stadt raus gaben. Man konnte der Morgendämmerung dabei zusehen, wie sie Straße um Straße eroberte und dabei die alte Stadtanlage aus dem 18. Jahrhundert hell werden ließ.
    Durch diese Ausflüge begann ich, mich geradezu geisterhaft zu fühlen. Es ist komisch, in der eigenen Stadt im Hotel abzusteigen. Wir waren hier hergezogen, wir hatten Eigentum erworben und wurden jetzt dafür bezahlt, nicht dort zu wohnen. Als wären wir Menschen, die eigentlich ganz woanders lebten. Regelmäßig fragten uns Leute in der Lobby: »Und von woher sind Sie?«
    Richtig beunruhigend wurde es, als wir anfingen, die Serie zu sehen. Die Stunden der Hilton-Langeweile brachten rauschhafte Zapping-Orgien mit sich (oh, ihr traurigen und viel zu bunten Gummiknöpfchen an Hotel- TV -Fernbedienungen). Wir saßen im Dunkeln und warteten darauf, dass unser Haus zu sehen sein würde. Wie bei Scharaden wetteiferten wir darum, als Erstes »Da ist es!« zu rufen. (Nicht dass wir offiziell einen Wettkampf ausgerufen hätten, das ergab sich spontan.)
    Wir erinnerten uns plötzlich an Dinge im Zusammenhang mit unserem Haus, die wir gar nicht erinnern konnten, denn wir hatten sie ausschließlich im Fernsehen erlebt. Als sie passierten, waren wir nicht anwesend gewesen, aber sie waren geschehen, während wir dort wohnten. Es fühlte sich in etwa so an, wie ich mir vorstelle, dass Amnesiekranke sich fühlen,
wenn man ihnen Fotos aus jenen Phasen ihres Lebens zeigt, an die sie keine Erinnerung haben. Man dachte: Wieso kann ich mich daran nicht erinnern, wie kann es sein, dass ich nicht weiß, dass das passiert ist? Nach einem längeren Dreh nach Hause zu kommen und alles genauso vorzufinden, wie man es verlassen hatte, obwohl man sicher wusste, dass sich während der eigenen Abwesenheit dramatische und oftmals sogar gewalttätige Dinge ereignet hatten, ließ einen immer wieder an einen Witz aus einer von Steven Wrights Comedy-Sendungen aus den Achtzigern denken: »Bei mir ist eingebrochen worden. Die Diebe haben alle meine Sachen gestohlen und durch exakte Nachbildungen ersetzt.«
    Sobald wir im Hilton-Schlaraffenland eingecheckt hatten, schien die Greg-Grenze wie ein ausgeschaltetes Sicherheitsnetz aus Laserstrahlen in einem Museum zu verschwinden. Die Tapete war die erste Verletzung dieser Grenze gewesen, und im Laufe der ersten Drehs hatte sie weitere kleine Übertretungen hinnehmen müssen – Lampen in den Fenstern des Obergeschosses zum Beispiel, die das künstliche Sonnenlicht beim Nachtdreh einer Tagszene unterstützen sollten, eine Szene, die uns, als sie es mitten in der Nacht vor dem Haus Nachmittag werden ließen, zutiefst verwirrte, und die letzte, die wir noch zu Hause erlebten. Seit neuestem drehten sie auch Szenen in anderen Zimmern. Peyton und ihr Freund Lucas (gespielt von Chad Michael Murray) buken Plätzchen in der Küche. Daraus entwickelte sich eine Essensschlacht, bei der sie sich mit Teig bewarfen. Jede Wand in unserer Küche wurde von Teigbällchen getroffen. Es gab Treffer in Dielenritzen und an Regalen, der eine oder andere Batzen schlitterte in den Flur hinaus. Wenn das kein Anlass für eine lukrative Vertragsanpassung war. Ich las das Kleingedruckte – arrgh! Ich hatte für das gesamte Haus unterschrieben! »Der Betrag entspricht unserer Hypothek«, sagte das Kerlchen auf meiner Schulter.
    Außerdem war ja, wenn wir nach Hause kamen, immer alles
einwandfrei. Nicht das geringste Fitzelchen Teig, nirgendwo. Noch nicht mal ein Schokoladesplitter ließ sich finden (schade – wäre auf eBay sicher einiges wert gewesen). Unter streng materiellen

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