Pulphead
einstellte, bis man dem Ganzen eines Tages nur noch den Stempel »Geisteswissenschaftliches Institut« aufdrücken musste. Niemand hat je einen guten Job gekriegt, nur weil er in Centerbrook studiert hat, aber während meines mehrtägigen Besuchs machten die Studenten einen klugen und ehrgeizigen Eindruck auf mich. Die meisten waren nicht zwischen achtzehn und zweiundzwanzig, sondern ein gutes Jahrzehnt älter. Und auch wenn der Campus mit seinem nacktem Backstein
und den Parkplätzen reizlos ist, lag über dem Geschehen dort doch eine Atmosphäre der Ernsthaftigkeit.
Professor Marcus Livengood, den seine Studenten nur Marc oder sogar »Mr. Marc« nennen, war selbst in Centerbrook, bevor er an der UC Santa Clara in Vergleichender Zoologie promovierte. Dann kam er wegen eines Jobs an der biowissenschaftlichen Fakultät zurück an die Alma Mater seines Grundstudiums. Als ich mit vierzigminütiger Verspätung zu unserer Verabredung erschien, saß er allein in seinem überraschend riesigen Büro.
Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, dessen Äußeres man so einfach beschreiben kann. Livengood sieht aus wie der junge George Lucas. Dieselbe Kopfform, derselbe Bart, dieselben zusammengekniffenen Augen, alles – nur größer, noch nicht so rundlich und ohne graue Haare. Außerdem trägt Mr. Livengood einen Pferdeschwanz. Und auf der Nase hatte er eine dieser dicken, quadratischen Brillen, die wissenschaftliche Außenseiter offensichtlich ab dem Moment aufsetzen müssen, in dem man sie in die Loge der Wissenschaftlichen Außenseiter aufnimmt.
Mit einem beachtlichen Gespür für Theatralik – als ob wir uns nicht schon seit Wochen Mails geschrieben hätten – begrüßte mich Livengood: »Sie wollen also über die Tiere reden?«
Was auch immer es war, das zu diesem Interview geführt hatte – es hatte vor ungefähr einem Jahr begonnen. Ich fürchte, ich verspiele einen Gutteil der für solche Artikel unerlässlichen Glaubwürdigkeit, wenn ich es unumwunden zugebe, aber für mich begann das Ganze tatsächlich im Internet. Nicht auf den Spinnerseiten, wohlgemerkt. Auf den Spinnerseiten trieb ich mich damals überhaupt nicht herum, das fing erst eine gute Zeit später an, eigentlich erst, nachdem ich an Marc geraten war. Nein, es passierte auf der Seite von AOL . Wie viele andere benutze ich America Online tagtäglich, um ins Internet
zu kommen und meine Nachrichten abzurufen. Wenn man via America Online ins Netz geht, lässt es sich nicht vermeiden, dass auf der Startseite diese kleine Liste mit Schlagzeilen aufpoppt, über die man zu den entsprechenden Artikeln kommt. Das kennen Sie alle. Tja, und dann hat jemand bei AOL , jemand, der in einer pulsierenden Arbeitsplatzwabe einer Großraumredaktion sitzt und damit betraut ist, die vielen Kurzmeldungen aus aller Welt nach Sachen zu durchkämmen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, etwas bemerkt. Ein Muster. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, die Identität dieser Person festzustellen (ich hab's versucht), denn mittlerweile stelle ich sie mir als eine merkwürdige Art Waffenbruder respektive Waffenschwester vor. Auf jeden Fall gab es auf einmal fast jeden Tag oder mindestens einmal pro Woche eine total unglaubliche Story über einen Tierangriff.
Und nicht nur das. Eine Story über einen Tierangriff ist ein Berglöwe, der über einen Jogger herfällt, ein Bär, der in ein Auto einbricht, oder ein Surfer, der ein Bein verliert. Wohlgemerkt: Auch diese Fälle scheinen sich in vielen Gegenden der Welt zu häufen. Aber solche Geschichten hat jeder schon mal gehört. Selbstschutzinstinkte seitens der Tiere plus die zunehmende Beliebtheit von Outdoor-Aktivitäten unsererseits gleich gelegentliche Todesfälle. Wir aber sprechen hier von Vorfällen, die mit Veränderungen in der Natur und todbringender tierischer Aggression zu tun haben. Geschichten – ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen – wie die von Steve Irwin.
Die Irwin-Story ist längst zum gefundenen Fressen für die makabren Scherze von Online-Kommentatoren geworden. Ich selbst werde mir solche verkneifen: Steve Irwin, ein australischer Dokumentarfilmer, hatte seit 1996 im Fernsehen die Sendung The Crocodile Hunter . Irwins Tochter, die kleine Bindi, bekam ebenfalls eine eigene Sendung. Bei den Aufnahmen für ihre Show kam Irwin um. (Meine Tochter guckt sich Bindis Sendung bis heute gern an und besitzt sogar Merchandise-Ar
tikel. Der Titelsong geht so: »The Croc Hunter taught her, / Now his
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