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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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seiner khakifarbenen Centerbrook-University-Kappe, und durch seinen Bart grinste er mich an. »Sagen Sie mir, was Sie denken«, rief ich zu ihm hinunter.
    »Ich stehe jetzt da, wo er stand, John.« Marc Livengood ist jemand, der am Ende eines Satzes gern den Namen dessen sagt, mit dem er redet.
    »Und das heißt was?«, fragte ich. (Nichts davon war ernsthaft als Frage gemeint; es gefiel ihm einfach manchmal, mich dazu zu nötigen, ihm alles Stück für Stück aus der Nase zu ziehen, und ich hatte mich bereits daran gewöhnt.)
    »Was das heißt? Es heißt, dass ich da stehe, wo das Erste Opfer stand.« Das sagte er so, dass ich heute das Gefühl habe, beide Wörter großschreiben zu müssen. »Es heißt, dass wir alle drei am Ort eines in den Annalen der Naturwissenschaft noch unbekannten und gänzlich unerforschten Ereignisses stehen. Sie haben heute dasselbe gehört wie ich. Sagen Sie mir doch, was das alles heißt.« Dann machte er vierzig Minuten lang Fotos.
    Endlich in der Lage, mich irgendwie normal mit Sila Fall zu unterhalten, fragte ich sie: »Wissen Sie, warum er hier ist?«
    »Er ist Wissenschaftler«, sagte sie.
    »Ich meine, ganz konkret? Sie wissen's nicht? Er glaubt, dass sich die Tiere gegen uns erheben, dass wir demnächst einen Krieg zwischen Tieren und Menschen erleben werden, der hier beginnen wird. Der hier vielleicht schon begonnen hat.«
    »Glauben Sie das auch?«, fragte sie.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. Ich wusste nicht, wie ich ihr vermitteln sollte, dass sie mir gegenüber nicht diplomatisch sein musste. Sie war hier in ihrer beruflichen Funktion. Das war ich irgendwie auch, wenn auch auf etwas deformierte Art. Es war also wirklich dumm von mir, sie derart zu behelligen. Aber ich hatte mir seit unserer Ankunft am Flughafen von Nairobi nonstop Marcs Gerede anhören müssen, und sie machte einen ausgeglichenen, geerdeten Eindruck auf mich.
    »Die meisten Leute würden ihn wahrscheinlich für verrückt halten«, sagte ich.
    Sila Fall zuckte mit den Schultern. »Möglich.«
    »Dass er verrückt ist oder dass es bald einen Krieg Mensch gegen Tier geben wird?«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern.
     
    An dieser Stelle stößt diese Geschichte auf ein Hindernis, denn kurz nach unserer Rückkehr in den Staaten wurde Marc Livengood in Centerbrook gefeuert. Weder er noch irgendjemand an der Uni will darüber sprechen, man hört immer nur, dass er klagt. Von einer Person in der Stadt, die anonym bleiben soll, habe ich erfahren, dass er jetzt in Dayton bei seinem Vater wohnt, einem pensionierten Ingenieur. Zumindest wohnte er vor zwei Monaten noch da. Als er mich ein einziges Mal zurückrief und ich ihn fragen konnte, was eigentlich vorgefallen war, antwortete er in fast überheblichem Ton: »John, wenn das alles rauskommt, dann werden Sie . . . Sagen wir einfach, dass Marc Livengood nicht derjenige ist, der sich hier blamiert hat. Okay?« Eine nähere Erklärung verweigerte er und legte mit angewidertem Tonfall nach vielleicht dreißig Sekunden
auf. Ein Typ vom Rechenzentrum der Uni, den ich in meiner Verzweiflung aufs Geratewohl angerufen hatte, erzählte mir, er habe seinen Chef am Telefon darüber sprechen hören. Es habe »was mit Computern zu tun«.
    Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass ich es nach Livengoods Abtauchen reizvoll fand, die Geschichte voranzutreiben. Aus dem Feld habe ich niemanden sonst dazu bringen können, sich über ihn zu äußern; es war wohl nie mehr als ein Internet-Ding gewesen. Sogar seine Unikollegen glaubten, dass er, so formulierte es der Dekan mir gegenüber, in »eine Art kuratorisches Projekt« verstrickt war. Ein in Birmingham, Alabama, publiziertes Magazin namens Varmint Masters hatte einmal ein kurzes Porträt über ihn gedruckt. Ich kann Sie nur zum wiederholten Male auffordern, das gern nachzurecherchieren. Das Magazin gibt es wirklich. Und seine Herausgeber haben die Bedeutung des Wortes varmint (Schädlinge eher mittelgroßen Formats wie Mäuse und Ratten) radikal neu definiert. Sie jagen wild gewordene Elche und so was. Hin und wieder hat ein Land, sagen wir mal Australien, ein Problem mit einer außer Kontrolle geratenen Population einer invasiven Art – in einem Fall waren es mal Kamele. Dann kommen die Varmint Masters, die Gebieter der Schädlinge, aus den entlegensten Winkeln der Welt mit ihren bunkerbrechenden Knarren etc. angereist. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, ein Exemplar der Livengood-Ausgabe aufzutreiben, ich finde sie noch

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