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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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würde er damit verbringen, sich an diese Scheiße zu erinnern und darüber nachzudenken und sich darauf zu konzentrieren, jeden Tag aufs Neue damit fertigzuwerden. Der Kern dieser Scheiße: die Metamorphose seines Jugendfreundes Bill, in dessen Mutters Küche er jeden Morgen gefrühstückt hatte, die Metamorphose seines Wölflingskumpels (man warf eine Münze: Bill war bei der Parade Raggedy Ann und Dana war Raggedy Andy), in den – zeitweilig – größten Rockstar des Planeten, einen Mann, der in mehr als einem Land Ausschreitungen anzettelte, einem Supermodel den Laufpass gab, mit Mick Jagger im Duett sang und noch viel schrägere Sachen machte, zum Beispiel dem Rolling Stone zu erzählen, er erinnere sich wieder daran, als Zweijähriger von seinem Stiefvater vergewaltigt worden zu sein; in einen Mann, der den Namen einer Band (Axl) – in der Dana Gregory einst Bass spielte, Bill selbst aber gar nicht war – zu seinem bürgerlichen Namen machte und damit allgemein bekannt wurde. Dieses Ereignis war in Gregorys Leben eingeschlagen wie eine Supernova in eine vorwissenschaftliche Kultur. Wie sollte er damit umgehen?
    Ich fragte: »Nennen Sie ihn Bill oder Axl?«
    Er lächelte: »Nur Ax.«
    »Reden Sie noch oft miteinander?«
    »Seit 1992 überhaupt nicht mehr. Wir hatten so was wie ein Zerwürfnis.«
    »Weswegen?«
    Er schaute weg. »Wegen einem Scheißdreck.« Dann, nach ein paar Schlucken aus der Flasche und einigen Zügen an der Zigarette: »Wahrscheinlich wegen einer Frau.«
    Er war nervös, aber auf eine Art, wie jeder anständige Mensch nervös ist, wenn man sich mit einem Notizbuch bewaffnet ihm gegenübersetzt und eine Attitüde an den Tag legt, die ungefähr das aussagt: »Ich muss um halb drei zum Flieger. Könnten Sie mir bitte schnell die krassesten Anekdoten aus Ihrem Leben erzählen? Und bestellen Sie sich doch ruhig mehr von dem Spinat-Artischocken-Dip, ich übernehm natürlich die Rechnung.«
    Seine Biere trank er schnell. Wiederholt benutzte er, ohne dabei im Geringsten befangen zu sein, eine Wendung, die ich schon immer sehr gemocht habe: »Right on«, schnell gesprochen und das »Right« eine halbe Oktave höher intoniert als das »On«, nicht um »Stimmt!« oder »Genau!« zu sagen, sondern einfach nur »Ja«. Wie in »Hey, sollen wir feiern gehen?« – »Right on«.
    »Erzählen Sie mir von L. A.«, forderte ich ihn auf. »Sie haben gesagt, Sie hätten da unten für ihn gearbeitet. Als was?«
    »Hab allen Scheiß repariert, den er kaputt gemacht hat«, sagte Gregory.
    »Hat er viel kaputt gemacht?«, fragte ich.
    »In seinem Appartement hingen an allen Wänden riesige Spiegel. Ab und zu hat er mit dieser Raumfahrerstatue, die jeder kriegt, der bei MTV einen Award gewinnt, die Spiegel zertrümmert. Und weil er jeden Tag bis vier Uhr nachmittags geschlafen hat, musste ja jemand den Typen reinlassen, der zum Spiegel-Reparieren kam. Scheiße in der Art eben.«
    Er erzählte mir noch eine L. A.-Geschichte, davon, wie Axl einmal Slashs geliebte Albino-Boa-Constrictor hochhob und die ihn von oben bis unten vollschiss. Und das, obwohl Axl ziemlich teure Klamotten anhatte. Er wurde so wütend, dass er kurz davor war, der Schlange etwas anzutun. Beschimpfte sie wüst. Da griff Slash seine Gitarre mit beiden Händen – an dieser Stelle warf Dana sich in eine weit ausholende Holzhackerpose – und sagte: »Lass. Meine. Schlange. In. Ruhe.« Axl wich zurück.
    Ich glaube, wir saßen eine geraume Zeit zusammen. Dana hat vier Kinder und vier Enkel. Als ich meinte, dafür sei er aber noch ganz schön jung (kann man sich Axl mit vier Enkelkindern vorstellen?), sagte er nur: »Hab jung angefangen. Wie gesagt, wir haben viel herumexperimentiert.« Monica Gregory, seine Exfrau, hatte Axl auch gekannt. Sie hat ihm seinen ersten Verstärker geschenkt. Gregory spricht laut eigener Auskunft einmal im Jahr mit ihr, aber »nur, wenn ich muss«. Er sagte, er habe den Wunsch, den Grad der Gestörtheit in der nächsten Generation zu verringern. Er erzählte mir, wie er, Axl, Monica und die Clique damals nach Einbruch der Dunkelheit immer in einen Park gegangen waren, den Columbian Park in Lafayette – »Nachts gehörte der Park uns« –, das abgeschlossene Klavier auf der Freilichtbühne geknackt und bis in die frühen Morgenstunden gespielt hatten. Durch den Columbian Park war ich bereits spaziert. Er liegt quasi direkt auf der anderen Straßenseite von dort, wo die Jungs aufgewachsen sind. Keine sieben

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