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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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meines Lebens bevor.
    Ohne eine einzige Ausnahme ließen sich unsere alten Kumpels entlang einer Trennlinie in zwei Lager teilen. Die Linie verlief zwischen den Klassen. Diejenigen, die in Silver Hills aufgewachsen waren – da, wo man Kinder großzog, damit sie die Highschool abschließen und aufs College gehen –, schlossen gerade die Highschool ab und schickten ihre College-Bewerbungen los. Die, die nicht von dort waren, machten das nicht. Sie machten gar nichts. Zum Beispiel Brad Hope und Rick Sissy,
zwei Jungs aus unserer alten Clique. Ihre Väter waren Arbeiter – der eine fuhr einen Bus, der andere einen Betonmischer; Letzterer konnte weder lesen noch schreiben. Aber die Grundschule, wo wir uns kennengelernt hatten, war noch gut durchmischt. Und diesem Alter zwischen neun und elf Jahren eignet etwas Besonderes – die eigene Persönlichkeit zeichnet sich zwar bereits ab, aber mit etwas Glück hat man die Vorstellung noch nicht internalisiert, dass man anders ist als alle anderen und dass es im Leben so etwas wie eine Leiter gibt.
    Als Erstes hielten wir vor Rickys Haus. Ricky war eine Art White-Trash-Genie gewesen, genial in so gut wie allem. Sie kennen sicher diese Inserate hinten in den Comics, die behaupten, man könne ein Luftkissenboot aus Staubsaugerteilen bauen. Ricky war derjenige, der dieses Luftkissenboot baute. Und anschließend frisierte. Er war größer und schwerer als wir anderen, hatte eine helle Stimme und benutzte irgendein Öl für seine Haare. Trent schaffte es auf die University of Chicago und schrieb am Ende eine zweihundertseitige Diplomarbeit über das Münchner Abkommen, aber sogar er würde Ihnen bestätigen: Ricky war der Schlauste von uns allen. Einmal ballerten Ricky und ich auf dem kleinen Schrottplatz, den sein Vater als eine Art Nebenerwerb betrieb, mit Luftpistolen auf Autos und machten Spinnweben in die Scheiben. Plötzlich brüllte Rickys Vater, aus einem seiner epischen Nickerchen zwischen den Schichten erwacht, vom Schlafzimmerfenster aus: »Ricky, wehe, ihr schießt auf den orangen LKW ! Von dem hab ich die Windschutzscheibe vertickt.«
    Ich werde nie vergessen, wie Ricky mich noch nicht mal ansah. Wie er einfach losrannte. Die Pistole an Ort und Stelle fallen ließ und in den Wald rannte. Ich hinterher. Wir blieben den ganzen Tag weg. Mitten in einem Feld fanden wir ein altes Grab. Wir bestiegen den Gipfel des Schieferhügels, die höchste Erhebung unserer Stadt, und Ricky hielt mir einen Vortrag über die Entstehung von Schiefer und darüber, dass Tonschie
fer nichts mit dem Schiefer genannten Gestein zu tun hat. Die angstvolle, ekstatische Freiheit dieser Stunden im Wald werde ich nie vergessen.
    Als Trent und ich Ricky nach langer Zeit wieder einen Besuch abstatteten, saß er allein in einem abgedunkelten Zimmer und sah sich einen Porno an, in dem eine Frau es sich mit einer geschälten Banane selbst machte. Er sagte: »Scheiße, was is'n das für'n Ding da auf deinem Kopf?« Ich hatte gerade meine Bandana-Phase. An diesem Tag trug ich ein gelbes. Er meinte: »Als ihr aus dem Wagen gestiegen seid, hab ich gedacht: Scheiße, wer is'n das? Fast hätte ich dich für eine Schwuchtel gehalten und abgeknallt.« Wir fragten, was so los sei bei ihm. Er erzählte, er sei gerade von der Schule geflogen, weil er versucht habe, eines der Jungsklos zu zerstören, indem er bereits angezündete wasserfeste Böller runterspülte. Außerdem war er vor Kurzem in einen schlimmen Jeep-Unfall verwickelt gewesen; irgendwas stimmte mit seiner Schulter nicht. Sie sah aus, als sei sie komplett mit Schorf überzogen. Sein Vater schlief im Nebenzimmer. Er war jetzt im Ruhestand. Wir erzählten Ricky, dass wir noch weiter zu Brad wollten. Er sagte nur: »Brad hab ich ewig nicht gesehen. Habt ihr mitbekommen, dass er eine Neger-Ische durchgepimmelt hat?« Genau das hat er gesagt: »eine Neger-Ische durchgepimmelt«.
    Auf dem Weg zu Brad schwiegen wir. Brad hatte schon einen richtigen Schnauzbart, war aber auch schon immer frühreif gewesen. Schon als wir noch viel mit ihm zu tun hatten, hatte er sich ständig entblößt. Einmal habe ich gesehen, wie er mit der Unterhose in den Kniekehlen immer rings um einen Campingplatz rannte und dabei rief: »Sieht das hier wie der Penis eines Elfjährigen aus?« Sah es nicht. Brad bettelte häufig seine Mutter an, für uns »Birmingham Sunday« zu singen, was sie auch meistens tat, a capella, in der Küche. Jetzt hatte er es die ganze Zeit mit Nigger

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