Pulphead
Meter von der Bühne entfernt steht ein Ehrenmal für die Söhne von Lafayette, die »bei der Verteidigung unseres Landes das größte aller Opfer gebracht haben«, darunter auch der Name von William Rose, wahrscheinlich Axls Urururgroßvater, gefallen in einem Bürgerkrieg, der nicht gerade im exaktesten aller Sinne in Verteidigung unseres Landes geführt wurde. Und während Gregory noch erzählte, fand ich es plötzlich ziemlich schräg, dass Axl diesen Namen wahrscheinlich jahrelang
Hunderte von Malen gelesen hatte und nichts damit anzufangen wusste, weil ihm nicht klar war, dass es sein eigener Name war – er, der eines Tages beim Durchstöbern einiger Unterlagen der Mutter, die er für die seinigen hielt, seinen wahren Namen herausfand. Worauf er singen würde »I don't need your Civil War« und die bis dato unbeantwortete Frage stellte: »What's so civil about war, anyway?«
Damals, erzählte Gregory, habe Axl alles Mögliche gespielt. Thin Lizzy zum Beispiel. »Aber wirklich singen habe ich ihn nur einmal gehört, und zwar im Bad. Er war eine Stunde lang drin und machte Gott weiß was. Wahrscheinlich ist er da als Frau verkleidet rumgetanzt.«
»Was an seiner Musik hat Ihrer Meinung nach mit Lafayette zu tun?«
»Die Wut, Mann. Ich würde sagen, die hat er von hier.«
»Er ist viel verprügelt worden damals, oder?« (Seitdem ich in der Stadt war, hatte mir das mehr als nur eine Person erzählt.)
»Ich habe ihn oft verprügelt«, sagte Gregory. »Ein Jahr lang habe immer ich gewonnen, im nächsten Jahr dann wieder er. Einmal haben wir uns bei ihm im Garten gekloppt, und ich stand kurz davor, zu gewinnen. Als mein Vater sah, was los war, wollte er einschreiten, aber seine Mutter meinte nur: ›Nein, die sollen das ruhig austragen.‹ Wir hatten unsere Kämpfe sowieso immer bis ins kleinste Detail geregelt. Wenn man älter wird, dauert die Heilung länger.«
Unbeholfen versuchte ich ständig, das Gespräch zurück zu der Sheidler-Sache zu lenken, ohne dass es zu offensichtlich rüberkam. Konnte sich Dana tatsächlich nicht an diese tumultartige Szene erinnern? Seine Antworten fielen weiterhin elliptisch aus. »Ich kann mich nur daran erinnern, wie die Bullen wissen wollten, wer die ganze Straße mit Farbe besprüht hat«, sagte er und lächelte. »In der Nacht, bevor Axl nach L. A. ging, sprayte er ›Leck mich am Arsch, Lafayette, ich bin weg‹
einmal quer über den Asphalt. Ich wünschte, ich hätte ein Foto davon gemacht.«
Schließlich wurde ich ungeduldig: »Mr. Gregory, es ist unmöglich, dass Sie sich nicht daran erinnern. Noch mal: Sie. Ein Junge mit einem Fahrrad. Axl und eine Frau, die sich prügeln. Er mit Gips am Arm.«
»Ich kann Ihnen erzählen, wie es zu dem Gips kam«, sagte er. »Er hat einen Böller zu spät losgelassen. Wir haben die Dinger für harmlos gehalten, aber das waren sie wohl nicht, immerhin hat einer ihm fast die ganze scheiß Hand weggefetzt.«
»Und warum haben Sie sich über die Bremsspuren so aufgeregt?«, fragte ich.
»Mein Vater hat auf dem Bau gearbeitet. Macht er immer noch. Ich auch. Unsere Firma heißt Gregory und Söhne – ich und mein Bruder sind die Söhne. Wir machen vor allem Betonierarbeiten im Wohnungsbau. Mein Bruder ist schon tot. Er war neununddreißig. Hatte was mit dem Herzen. Mein Vater bringt's bis heute nicht über sich, die ›Söhne‹ einfach zu streichen. Egal. Wissen Sie, wir waren es, die diesen Bürgersteig gegossen hatten. Wenn mein Vater die Bremsspuren sah, würde er sich tierisch aufregen – ›Verdammt noch mal, wisst ihr eigentlich, wie schwer man die wieder abkriegt?‹ Er würde sofort uns für die Schuldigen halten und uns den Arsch versohlen. Deswegen dachte ich, als ich das [Werk des kleinen Scott Sheidler] gesehen hab: ›Nein, das kann ich ihm nicht durchgehen lassen.‹«
Das war's. Viele Nachfragen waren zu keinem Thema möglich, denn Gregorys Blick schweifte immer schnell ab, und er verfiel ins Grübeln. Bei mir stellte sich zunehmend das Gefühl ein, dass es einen bestimmten Grund gab für seine Anwesenheit und die Entscheidung, sich mit mir zu treffen, und dass wir über diesen Grund bislang noch nicht gesprochen hatten.
»Wissen Sie«, sagte er, »ich habe noch nie mit einem Reporter geredet. Ich habe regelmäßig alle Anfragen abgelehnt.«
»Und warum haben Sie diesmal ja gesagt?«, fragte ich.
»Eigentlich wollte ich Sie auch nicht zurückrufen, aber mein Vater hat gesagt, ich soll. Sie können sich bei
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