Pulphead
mit der alle bei seinem Erscheinen ausflippen, sondern auch wegen der anwesenden Altersmischung: Es geht von Hipstern, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Appetite wahrscheinlich gerade geboren wurden, bis zu älteren Gestalten, die ihre gigantischen Rockermatten gegen angegraute Rattenschwänze eingetauscht haben. Dazwischen diverse Mikrogenerationen. Warum ich das alles überhaupt erwähnenswert finde? Weil die Leserinnen und Leser des Teen -Magazins ihn vor weniger als einem Jahr auf Platz zwei der Rangliste der hundert coolsten älteren Menschen wählten, hinter »Meine Großeltern«. Ihn, Axl Rose, der dreizehn Jahre lang kein offizielles Album mehr rausgebracht und sich in dieser Zeit in eine fast Howard-Hughes-artige Figur verwandelt hat – er lässt sich das Essen nur noch nach Hause kommen, versichert in sporadischen Abständen, die Veröffentlichung eines neues Albums mit dem Titel Chinese Democracy stehe unmittelbar bevor, legt gelegentlich bestürzende Auftritte bei Sportveranstaltungen und Modenschauen hin, all so was –, ihn, der dabei gleichermaßen ein bisschen animalisch und ein bisschen verloren wirkt, einem Mann nicht unähnlich, der zum ersten Mal einen ganzen Tag unbeaufsichtigt Freigang aus der Psychiatrie hat. Er ist wieder da. Die Gitarristen greifen in die Saiten, der Drummer legt vor mit seinem Bis-zum-Gesangseinsatz-steigere-ich-die-Spannung-Gehämmer, und auf die Gefahr hin, dass ich hier gewisse Geschmacksunsicherheiten offenbare, muss ich sagen: Die düstere Perfektion dieses Eröffnungsriffs ist um keinen Tag gealtert.
Man kann gar nicht anders, als das hier mit dem MTV -Auftritt von 2002 zu vergleichen, und man merkt, dass es allen so geht. Wer damals zugesehen hat, mag die Nacherzählung
dieses grotesken Vorkommnisses an dieser Stelle ermüdend finden, aber dazu kann ich nur sagen: Vergesst das nie. Nicht den Gitarristen Buckethead mit dem Eimer auf dem Kopf. Diesen anderen Gitarristen. Axls zeltähnliches Football-Trikot und die herzzerreißende Art, wie er nach nur wenigen Sekunden im Bild der Videowand seinen schlangengleichen Schleiffußtanz abbrach, à la: »Ihr wollt meinen Schlängeltanz sehen? Bitte, hier kommt mein Schlängeltanz. Nee, stop, ich glaube, ich habe gerade einen kleinen Schlaganfall. Haut ab.« Wie er hörbar nach Luft schnappt beim zweiten »knees« in »Sh-na-na-na-na-na-na-na-na-na-na-na knees, kn(keuch!)ees«. Sein Rennen und Singen, das mit dem Vorbeikreuchen der endlosen Minuten mehr und mehr einem Stolpern und Krächzen glich. Sein permanentes, senil wirkendes Gefummel an dem Monitorknopf in seinem Ohr.
Was ich sagen will: Heute Abend ist es anders. Zum einen kommen die Jungs auf der Bühne mit den Parts von Slash klar. Beziehungsweise: Sie beherrschen ihre Instrumente so gut, dass sie sich entscheiden können, damit klarzukommen. Sie geben sich nicht als Slash aus wie die Typen bei MTV . Buckethead wurde durch einen Kerl namens Bumblefoot ersetzt, und Bumblefoot rockt. Genau wie Robin Finck, der früher bei Nine Inch Nails war. Jede Note sitzt. Wir könnten uns an dieser Stelle in das der populären Musik eignende Problem der Virtuosität vertiefen – nämlich den Umstand, dass Leute, die eigentlich alles spielen können, in neun von zehn Fällen aus unerfindlichen Gründen mit irgendeinem Mist ankommen, wenn man sie bittet zu improvisieren –, aber es reicht vielleicht zu konstatieren: Wer nach und nach seine ganze Band auswechselt und den Neuen nur sagt: »Macht's bitte so und so«, tut nicht schlecht daran, sich monstergute Musiker zu suchen.
Der gesamte Bogen des Konzerts folgt einem ziemlich gradlinigen Plot. Die Unstimmigkeit steht im Dienst der Wahrheit: Es ist eine Schlacht zwischen der Dissonanz, diese ganzen nicht
zu Guns N' Roses gehörenden Typen mit Axl rumspringen und Guns-N'-Roses-Songs spielen zu sehen – eine abstoßende, wenn nicht verstörend unheimliche Dissonanz –, und der unverwüstlichen Qualität der Songs selbst. Die letztendliche Mischung wird darüber entscheiden, ob dieser Abend ein Knaller wird oder »irgendwie traurig, aber hey, immerhin Axl«. Für mein Dafürhalten hat Axl den Stich gemacht. Zum einen ist seine Stimme wieder da. Er bewohnt die Töne. Und seine Tanzkünste – ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll – sind gereift. Von Anfang an war er unter den männlichen weißen Rockern seiner Generation der einzige unverzichtbare Tänzer, der einzige, bei dem sich die verulkende
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