Pulphead
Nachahmung lohnte. Man denke an den Moment im »Patience«-Video, wo er den schlängelnden Schleiffußtanz macht, während er die Hände wie Federn in einem Raum ohne Luftzug hinabschweben lässt und bei jeder Note, die Slash im Übergang zur Coda spielt, eine flüchtige Pause einlegt. Der großartigste Tanzmoment eines männlichen Rockers im Videozeitalter. Tut mir leid, aber was Axl da macht, ist wunderschön. Wenn ich könnte, würde ich das beim Gang zum Laden ums Eck machen. Jeden Morgen würde ich nach dem Aufwachen tanzen wie William Byrd von Westover, und genau so sähe mein Tanz aus. Auch wenn ich nicht behaupten kann, dass Axl an diesem Abend genauso gut tanzt wie früher, als seine Fersen noch fließend von der Körpermitte weg nach außen glitten und es aussah, als seien beide mit einem Zauberstab berührt worden, der sie von Widerstand und Masse erlöst hat, und auch wenn er mich in gewissen Augenblicken an meinen besoffenen Redneck-Onkel erinnert, der nach einer Super-Bowl-Party versucht, »seinen Axl Rose« darzubieten: Er schlägt sich ehrenvoll. Er macht den »Scheiße, mir ist eine Bowlingkugel auf den Fuß gefallen«-Mikroständer-Drehtanz; er macht den »Tänzel mit dem Mikroständer seitwärts wie ein angreifender, speerschwingender Ritualkrieger«-Tanz zwischen den einzelnen Strophen. Und nach
jeder Zeile starrt er die Menge aus diesen merkwürdig verwunderten und trotzdem furchtlosen Augen an, die aussehen, als hätte man ihn gerade dabei überrascht, wie er sich in seinem Bau über ein Stück Aas hermacht.
3.
Protokoll eines Gesprächs mit meiner Frau Mariana, 27. Juni 2006:
ICH : Oh mein Gott.
SIE : Was?
ICH : Axl hat in Schweden gerade einen Mann von der Security ins Bein gebissen. Er ist im Gefängnis.
SIE : Hat das Auswirkungen auf dein Interview mit ihm?
ICH : Nein, die haben sowieso nie ernsthaft darüber nachgedacht, mich mit ihm reden zu lassen, glaube ich . . . Aber jemanden ins Bein zu beißen – das nötigt einen ja dazu, sich ihn in einer irgendwie . . . entwürdigenden Haltung vorzustellen.
SIE : Hat Axl eigentlich Hilfe, wenn so was passiert?
4.
Seit Tagen schon war ich durch das überraschend hübsche, sonnige, frisch restaurierte Stadtzentrum von Lafayette gewandert und hatte zusammengekratzt, was ich finden konnte. Ich war zu dem Haus gegangen, in dem er aufgewachsen war. In der Stadtbibliothek hatte ich mir die alten Fotos aus seinem Schuljahrbuch angeschaut. Jeder hatte seine Axl-Geschichte. Aus dem Haus da drüben hat er einen Fernseher gestohlen. Hier hat er versucht, auf dem Kofferraum eines Autos Skate
board zu fahren, und sich dabei den ganzen Arm aufgeschürft. Aus diesem Motel da kam er mit einer halbnackten Frau, und als ein paar ältere Typen sie ansahen und einer von ihnen eine Zigarette fallen ließ, ohne damit eine bestimmte Absicht zu verfolgen, ist Axl durchgedreht und hat ihnen den Stinkefinger gezeigt, woraufhin sie ihm die Scheiße aus dem Leib geprügelt haben. Es ist schwer, Belege für solche Geschichten zu finden. Aber es gibt noch genügend Strafbefehle aus Axls Jahren in Indiana, um die Behauptung glaubwürdig erscheinen zu lassen, Stadtcops und Nationalgardisten hätten sich immer, wenn sie ihn irgendwo sichteten, berechtigt gefühlt, ihn aufzugreifen und ihm die Hölle heiß zu machen. Genau genommen waren sie nämlich immer im Recht. Man kann sich kaum vorstellen, dass man ihn nicht sofort sah, wenn er mit seinen langen, dünnen, herabfließenden roten Haaren das Haus verließ. Axl zu sein, kann nicht immer nur Spaß gemacht haben.
Ich ging zur Polizei. Genau wie die Stadt haben sich auch die Beamten entspannt. Eigentlich waren sie sogar richtig freundlich. Sie fanden und überantworteten mir die Negative einiger noch nie veröffentlichter Fahndungsfotos von 1980 und 1982, deren älteres (auf dem er erst achtzehn ist) ein anonymes amerikanisches Meisterwerk von traurigster, armseligster Machart ist. Die Damen im Archiv wühlten ein bisschen in den Akten und kamen mit dem Bericht zurück, der zu diesem Bild gehörte und den ich weder in einer der Biografien noch online oder sonst wo erwähnt gefunden hatte. Er war von einem Beamten verfasst worden, der mit »1-4« unterschrieben hat. Ich nahm den Bericht mit ins Holiday Inn und verbrachte den Rest des Nachmittags lesend. Nennen wir das Ereignis, von dem er erzählt, den Sheidler-Vorfall. Der Bericht fängt so an:
Name: Bailey, William Bruce
Pseudonym: Bill
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