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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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zusammenhalten. Vor meiner Abreise waren allerdings noch ein paar Dinge passiert. Ich hatte mich mit Sanford angefreundet, einem koboldhaften, unverbesserlichen Zurück-zur-Natur-Typen Ende vierzig, der allein und ohne Strom auf einer nahegelegenen Farm lebte. Sein Haus hätte eine Erfindung Jeffersons sein können. Aus einem alten Milchtank, der sich in einem Türmchen auf dem Dach befand, lief Quellwasser; der Kühlschrank wurde mit Propangas betrieben, das Sanford aus alten Campingwagen rettete. Er hatte Solarzellen der ersten Generation auf dem Dach, einen lehmwandigen Rübenkeller, einen Holzofen. Ein Wasserfall war seine Dusche. Wir machten etliche halluzinogene Erfahrungen, die meinem Notendurchschnitt nicht gut taten.
    Sanford verdiente das wenige Geld, das er brauchte, mit therapeutischen Massagen im Ort, und einer seiner Kunden war niemand anderes als Andrew Lytle, der einmal in der Woche in seinem schokoladenfarbenen Eldorado von der Größe einer Yacht in die Stadt fuhr, je nach Laune auf der linken oder rechten Spur. Die Polizei folgte ihm in einiger Entfernung, einfach nur, um für seine Sicherheit zu sorgen. Er kam manchmal Stunden zu früh und wartete dann ungeduldig im Auto vor Sanfords Studio. Er sagte, er liebe das Gefühl von menschlichen Händen auf seinem Fleisch. Es halte ihn am Leben.
    Bei einer ihrer Sitzungen erwähnte Lytle, dass sein damaliger »Junge« bald sein Studium abschließen würde. Sanford, der damals noch nicht wusste, wie sehr ich in der Uni versagt
hatte und dass ich mein Studium abbrechen würde, erzählte Lytle von mir und gab ihm ein paar meiner Geschichten. Oder Gedichte? Ohne Zweifel fürchterliches Zeug, aber vielleicht war es »vielversprechend«. Gegen Ende des Sommers wurden dann die ersten Luftpostbriefe unter der Tür unserer Wohnung auf den Hügeln von Cork durchgeschoben, ich erinnere mich noch an die leichte Biegung der Umschläge, die durch die schwere Schreibmaschine gewalzt worden waren. Der erste Brief war so datiert: »Nun, da ich im Sinne der Ewigkeit lebe, weiß ich nur selten das korrekte Datum, und einzig das Wetter berichtet mir vom Fortgang des Tages, aber ich glaube, es ist später August.« Er endete mit: »Ich rechne also damit, dass Sie hier bei mir leben werden«.
    So ist es passiert: Er hat einfach gefragt. Eigentlich war es noch nicht einmal eine Frage. Dass er den normalen Dienstweg nicht eingehalten hatte, sorgte für ein paar kleinere Probleme mit der Universität. Aber damals war das alles egal. Ich spürte eine Art Rausch, das verwirrende Surren der Aufmerksamkeit eines großen Mannes, und irgendwo dahinter den heranrauschenden Ruhm. Seine Briefe kamen einmal, später dann zweimal pro Woche. Sie waren brillant vertrottelt, sprangen hin und her zwischen Kohärenz und Zusammenhanglosigkeit, zwischen den Zeiten, den Jahrhunderten. Seine Tippfehler und seine schwindende Sehkraft produzierten oft großartige Sätze, etwa das ergreifend kommalose: »This is how I protest absolutely futilely.« Er nannte mich einen Schriftsteller, allerdings wisse ich nicht, was ich tue. »Und an dieser Stelle kommt der ältere Künstler ins Spiel.« Er schrieb von der Muse und wie sie uns in unserer Jugend testet. Wir wurden persönlicher, Lytles Tonfall wurde dringlicher. Ich müsse bald zurückkehren. Wer wisse schon, wie lange er noch lebe? »Niemand kann verhindern oder vermeiden, was uns erwartet.« Es gebe Dinge, die er weitergeben wolle, Dinge, so schrieb er, »die zu lernen ich allzu lange gebraucht habe«. Nun habe ihn ein plötz
licher, später Schub Energie überrascht. Ich solle mir keine Sorgen um die Uni machen, sagte er. »Das College ist wohl nicht die beste Vorbereitung für einen Schriftsteller.« Ich sollte im Gästezimmer im Keller wohnen. Wir würden unsere Arbeit erledigen.
    Ich brauchte mehrere Monate, um zurückzukommen, und Lytle wurde ärgerlich. Als ich dann endlich durch seine Haustür trat, blieb er sitzen. Er hing so kraftlos in seinem Sofa, als hätten Diebe ihm seine Knochen gestohlen und ihn dort zurückgelassen. Er deutete in Richtung des rauchenden steinernen Kamins und der riesigen schwarzen Feuerböcke und sagte: »Es tut mir leid, dass das Holz so miserabel ist, Junge. Ich wusste nicht, dass ich im November noch leben würde.« Er sah wie gelähmt zu, wie ich das Feuer neu entfachte. Er sprach nur, um mich zu kritisieren. Die schweren Scheite nach hinten, weil sie die Hitze reflektieren! Nicht zu viel Flamme! »Junge Männer

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