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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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meinem Ohr, und seine rechte Hand lag auf meinen Genitalien.
    Ich sprang aus dem Bett und fing an, fluchend im Zimmer herumzuhüpfen, als hätte ich mir die Finger verbrannt. Lytle stöhnte vor Scham, mit den Händen vor dem Gesicht lag er im Bett wie ein angeschwemmtes Wrack. Ich muss erwähnen, dass er ein Wee-Willie-Winkie-Nachthemd und eine Nachtmütze trug, wie an jedem kalten Morgen. »Verzeih mir, verzeih mir«, sagte er.
    »Jesus, Mr. Lytle.«
    »Oh, Liebster . . .«
    Es ging gar nicht darum, dass er solche Gelüste hatte – so naiv konnte niemand sein, seine Vorlieben waren mehr oder weniger offene Geheimnisse. Ich weiß nicht, ob er schwul war oder bisexuell oder pansexuell oder sonst was. Diese Unterscheidungen sind lediglich ungelenke Begrifflichkeiten für die Rätsel der Sexualität. Aber ein paar Mal hatte Lytle auf eine, wie ich fand, bewegend erotische Weise von seiner Frau gesprochen, ganz anders als ich jemals einen schwulen Mann über Frauen und Sex habe sprechen hören. Lytle musste Edna jedenfalls geliebt haben, denn es war offensichtlich, wie sehr er sein »Memphis-Gal mit den Eichkatzenaugen« vermisste. Er hatte sie jung geheiratet, und sie war immer noch jung, als sie an Lungenkrebs starb.
    Wenn das Gespräch auf das Thema Sex kam, sprach er oft von einer homoerotischen Seite der Agrarierbewegung. Er erzählte mir, das Allen Tate ihm einmal Avancen gemacht hatte, »aber ich habe ihn abgewiesen. Ich mochte seinen Geruch nicht. Weißt du, mein Liebster, Geruch ist so wichtig. Tate hatte den schalen Geruch eines Mannes, der sich nie bewegt.« Ob es stimmte oder nicht, es war kein Einzelbeispiel. So haben spätere Autoren, darunter solche, die kein Interesse daran hatten,
das Thema unnötig hochzuspielen, Robert Penn Warrens mehr als platonisches Interesse an Tate während ihrer Vanderbilt-Jahre bemerkt. Stark Young, ein selten erwähntes Mitglied der Twelve Southerners, war offen schwul. Lytle selbst bekannte sich zu einer glücklichen, aber sporadischen Affäre, die er als sehr junger Mann mit dem Bruder eines anderen Fugitive Poets gehabt hatte. Die beiden hatten irgendwann sogar Pläne für ein gemeinsames Leben auf einem kleinen Bauernhof gesponnen. Der Mann verschwand später und wurde in Mexiko ermordet aufgefunden. Warren erwähnt ihn in einem Gedicht, in dem Heimlichkeit ein Leitmotiv ist.
    Der entscheidende Punkt ist, dass man diese für die amerikanische Literatur über Jahrzehnte prägende Bewegung nicht in Gänze verstehen kann, ohne zu wissen, dass einige der Autoren dieser Bewegung einander liebten. Zumeist natürlich »homosozial«, aber in einigen Fällen homoerotisch und bisweilen auch homosexuell. Daraus erwuchs ein Teil der Kraft, die diese Freundschaften so intensiv machte und diese Männer trotz Zankereien und geänderter Meinungen ihr Leben lang zusammenhielt, sogar über den Tod ihrer utopischen Hoffnungen für den Süden hinaus. Aus ihrer Mitte gingen ein paar gute und mit Warren sogar ein bedeutender Schriftsteller hervor, von dem man sagen kann, dass er auf den Schwingen der anderen in die ihm vorbestimmten Höhen getragen wurde.
    Lytle hätte mich mit seinem Stock aus dem Haus geprügelt, wenn er gewusst hätte, dass ich solche Dinge ausspreche. Für ihn war das eine Sache von zwinkernder Übereinkunft, von Frontiersmen-Sexualität, von Verbindungsbrüdern, die ohne viel Aufhebens miteinander ins Bett fielen. Wahlweise auch Hellenismus, güldene Knaben am Hofe der Muse, William Alexander Percy und so. Was auch immer es war – ich akzeptierte es. Ich beschwerte mich nicht, wenn er sich setzen und mir beim Holzhacken zusehen wollte, oder wenn er mich bat, nicht jeden Morgen zu duschen, damit er mich besser riechen kön
ne. »Ich bin fast blind, Junge«, sagte er. »Wie soll ich dich finden, wenn's brennt?« Ich hatte allerdings gedacht, dass wir uns einig wären. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich wie ein Zimmermädchen begrapschen würde.
    Zwei Nächte blieb ich weg, dann kehrte ich zurück. Ich stieg die Stufen hoch, spähte durch das Fenster an der hinteren Veranda und sah ihn schlafend auf dem Sofa liegen (ich fragte mich jedes Mal, ob er tot war). Er hatte seine Hände auf dem Bauch gefaltet. Eine hob sich und hing dann zitternd herunter, das Winken eines Schauspielers. Er redete mit sich selbst. Aber als ich die Tür öffnete, stellte sich heraus, dass er mit mir sprach.
    »Nun, mein Liebster, wir müssen diese Sache vergessen«, sagte er. »Ich

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