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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Geliebten wachzuliegen). Über meinen Umgang mit der Eisenpfanne, die ihre Familie seit der Great Depression bei niedriger Temperatur gewürzt hatte, schüttelte sie den Kopf. Ich vergaß manchmal, dass die Pfanne nicht in die Spülmaschine gehörte. Wenn Lytle beim Essen unter dem Kronleuchter, zwischen Salzstreuer und Salatöl, davon schwärmte, welche Meisterschaft ich erringen würde, wenn ich nur nicht in diese oder jene Hochmutsfalle geriete, grinste sie nur und sagte: »Oh, Bruda, wie aufregend !«
    Am fraglichen Nachmittag kam ich gerade durch das Sicherheitstor des »Geländes«, wie die Bewohner es nannten, als mir Polly in ihrem winzigen blauen Auto entgegenkam. Irgendetwas stimmte nicht, denn sie blieb nicht stehen. Sie kurbelte das Fenster herunter und sprach mit mir, aber rollte dabei im Leerlauf und im Schritttempo weiter. Es war, als würde sie mir aus einer Kutsche zuwinken. »Ich bin auf dem Weg zum Supermarkt«, sagte sie. »Wir brauchen . . .« – der Rest war Gemurmel.
    »Wie bitte?«
    » BUTTAH !«
    Ich sah ihr mit einem schlechten Gefühl nach. Zu Hause tigerte Lytle voller Panik mit dem Stock über die Veranda. Er winkte mir zu, als ich in die Kieseinfahrt bog, in der wir immer parkten. »Sie ist betrunken!«, bellte er. »Sieh dir diese Flasche an, mein Lieber. Großer Gott, die war heute Morgen noch voll!«
    Ich versuchte herauszufinden, was passiert war, aber Lytle
war zu zappelig. Er trug einen Schlafanzug, schwarze Pantoffeln ohne Socken, einen grauen Tweedmantel und seinen Filzhut.
    »Oh, ich habe sie entzürnt, mein Liebster«, sagte er. »Ich habe sie entzürnt.«
    Während wir zum Tor rasten, erzählte er mir die Geschichte. Es war mehr oder weniger, wie ich vermutet hatte. Jedes Mal, wenn Polly zu Besuch war, entbrannte derselbe Streit, aber ich hatte ihn noch nie derartig eskalieren sehen. Die beiden hatten Verwandte in einer entfernten Kleinstadt, mit denen sich Polly einigermaßen verstand, während Lytle darauf bestand, diese Leute zu meiden, und das auch von seiner Schwester verlangte. Das Ganze hatte mit einer alten Auseinandersetzung um Land zu tun, es ging um falsches Spiel mit einem Testament. Ein gieriger Onkel hatte versucht, Lytle die Farm seines Vaters zu entreißen. Aber die aktuellen Cousins, die Nachfahren der Widersacher, taten nicht etwa so, als verstünden sie nicht, warum er nichts mit ihnen zu tun haben wollte (wie Lytle glaubte). Ich denke, sie waren tatsächlich verwirrt. Er hatte ihnen Szenen gemacht. Er hatte in der Tür gestanden und sie rhetorisch ausgefeilt als »Saat des Usurpators« denunziert. Die Verwandten hielten ihn zweifellos für weggetretener, als er tatsächlich war, und glaubten, dass er einen Schwindler aus längst vergangenen Zeiten beschimpfte, denn obwohl sie nie näher als bis zu den Verandastufen kommen durften, kamen diese Verwandten immer wieder.
    Und jetzt hatte Miss Polly sie in den Flur gelassen, an den Rand des Hofs der Muse. Für Lytle war das hemmungsloser Verrat. Als er aus seinem Mittagsschlaf erwacht war, hatte er sich der Verwandtschaft gegenüber abscheulich verhalten, und Polly war geflohen. Die Erinnerung an das, was er gesagt hatte, schien ihn aufzuwühlen.
    »Mr. Lytle, was haben Sie gesagt?«
    »Die Wahrheit«, sagte er leidenschaftlich. »Ich habe ange
messen reagiert. Das habe ich getan.« Aber im defensiven Zittern seines Kiefers lag eine gewisse Beschämung.
    Lytle erwähnt den Streit um das Land in seinen »Familienmemoiren« A Wake for the Living , seinem lesbarsten und aus vielerlei Gründen besten Buch. Vielleicht ist das aber auch nur meine Meinung. Weitaus belesenere Leute als ich halten seine Romane für vergessene Klassiker. Vielleicht liegt es an genau diesem faustischen Ego, das donnernd über seinem Selbstverständnis als Romanschriftsteller lag, dass er seine Memoiren unbelasteter angehen konnte und dass diese Freiheit stilistischen Elan und Spontaneität freisetzte, die man sonst nur in seinen Briefen findet. Es gibt eine Szene, in der er den Morgen beschreibt, an dem seine Großmutter 1863 von einem Soldaten der Union Army erschossen wurde. »Niemand erfuhr jemals, wer er war oder warum er es tat«, schreibt Lytle. »Er stieg auf ein Pferd und galoppierte aus der Stadt.« Am Ende ihres langen Lebens trug diese Frau ein langes Samtband um den Hals, das von einer goldenen Nadel zusammengehalten wurde. Lytle war nah genug am Bürgerkrieg dran, um als Kind beim Einschlafen nach oben zu langen und den

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