Pulphead
Winken jeder einzelnen Puppe, als wäre sie von dem zwangsneurotischen Verlangen getrieben, nicht eine auszulassen. Es sah aus, als habe sie das Wesen des Ganzen missverstanden und würde denken, wir selbst wären Teil einer Parade, der die Puppen zusahen. Das ist wahrscheinlich die plausiblere Sicht. Warum sollte man auch in einem Boot sitzen, um sich die Kinder am Ufer anzusehen; sie würden eher dich ansehen. Denn du bist eine Prinzessin . Flora war sauer, weil Lil' Dog den Zerstäuber ihrer Familie nicht rausrückte und sich immer nur selbst besprühte, mitten ins Gesicht, und als die Fahrt vorbei war, war das Wasser leer. »Sohn«, sagte Trevor.
Nächste Erinnerung: schlagartig und zum ersten Mal begreifen, wie irisch das klang, Disney, und den Namen in Gedanken zu hören, gesprochen mit dem Kilkenny-Akzent seines Urgroßvaters Arundel Disney, mit einer scharfen Hebung auf der letzten Silbe. Und den im Grunde tragischen Charakter seiner Scharlatanerie etwas besser verstehen.
Es war eine doppelte Halluzination: Ich halluzinierte in Walt Disneys Halluzination. Genau das hatte er gewollt.
Abends im Bett las mir meine Frau, die Akademikerin ist und sich für transnationale Ströme von Entertainment-Kapital und solche Sachen interessiert, aus einem Buch vor, das sie mitgebracht hatte: Married to the Mouse von dem Politikwissenschaftler Richard E. Foglesong. Darin geht es um Disney und
Florida, was sich als wesentlich fesselnder herausstellte, als ich dachte und als Sie erwarten würden.
Um zu verstehen, was hier passiert war, muss man von Walt Disneys Enttäuschung über Disneyland wissen, nicht über den Park selbst, sondern über die Neubebauung ringsherum, über den Boom der Tourismusindustrie, die überall schäbige Hotels und aufdringliche Werbung aus dem Boden wachsen ließ und die falsche Sorte Gäste anzog. Disney war tief betrübt – er, der visuell so akribisch war, dass er in den Tierheimen und Zoos von Los Angeles herumschlich, um die kleinen Geschöpfe zu filmen, damit seine Animatoren die Muskulatur und die Bewegungen richtig hinbekamen. Wie sollte er vor dem Hintergrund urbaner Ödnis eine makellose Traumwelt gestalten? Wie sollte er, in den Worten von Bob Hope, »einen Fluchtweg aus unserer Aspirin-Existenz in ein Land des Funkelns, des Lichts und der Regenbogen« eröffnen? Um das zu erreichen, brauchte er Kontrolle über den gesamten Kontext des Parks. Es ging nicht um Land, es ging um eine Welt. Virgin – jungfräulich: Das war das Wort, das er kurz vor seinem Tod in einem Werbefilm benutzte. Walt Disney starb, während er von Disney World träumte; es heißt, dass er in seinem Krankenhauszimmer auf dem Rücken lag und die Kacheln an der Decke in eine Karte seines geliebten »Florida-Projekts« verwandelte.
Die Art, wie Walt an der Umsetzung seiner Idee arbeitete, war clever und gab eine gute Geschichte ab. Er wollte mehr als hundert Quadratkilometer zusammenhängenden Privatbesitzes in Central Florida kaufen. Das Land war alles andere als jungfräulich – Central Florida ist immerhin der Ort des amerikanischen Sündenfalls –, aber es war entvölkert. Disney wusste, dass die Preise in die Höhe schießen und die Gesamtkosten außer Kontrolle geraten würden, wenn jemand mitbekäme, dass Walter Disney Grundstücke aufkaufte. Also gründete er Briefkastenfirmen, gab ihnen irgendwelche ausgedachten Namen und erwarb das Land parzellenweise – lauter kleine
Puzzleteile. Die Landbesitzer hatten keine Ahnung, dass eine Einzelperson ihr ganzes Land aufkaufte, bis ein Lokaljournalist dahinterkam und Disney gezwungen war, eine Pressekonferenz abzuhalten. Ihr habt richtig gehört, Leute! Ich war's.
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, der Staat Florida habe seine Bürger bewusst getäuscht und ein Unternehmen dabei unterstützt, sich einen beträchtlichen Teil seines Gebietes unter den Nagel zu reißen; eine andere Sicht der Dinge ist, dass er ein Geschäft absicherte, das für Floridas Ökonomie so einträglich werden sollte wie kein zweiter Wirtschaftszweig seit dem Beginn des Orangenanbaus. Die Leute streiten sich bis heute, ob es wirklich ein so kluges Geschäft war. Disney World hat sehr viel Geld eingebracht, aber ob Florida seinen gerechten Anteil daran bekommen hat, ist unklar. Das liegt vor allem an den eigentümlichen und höchst regelwidrigen Steuervereinbarungen, die Disney verabreden beziehungsweise – um den Begriff zu benutzen, der Walts Bruder Roy bei der ersten
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