Pulphead
Pressekonferenz rausrutschte – »einfordern« konnte. Diese Steuervorteile wurden im Laufe der Jahre noch erweitert. Heute gibt es sogar eine Art »Disney-Visum«, das der Konzern mit der US -Regierung ausgehandelt hat. Damit kann Disney seinen Bedarf an ausländischen Akzenten in Epcot decken, dem zweitgrößten Themenpark des Walt Disney World Resort.
Interessant wurde es, als es darum ging, wie Disney die Regierung von Florida täuschen musste, um an diese außergewöhnlichen Machtbefugnisse zu gelangen, während beide gleichzeitig auf verschiedenste Weise zusammenarbeiteten. Hier wurde es sehr komplex und legalistisch, aber im Grunde ging es darum: Disney verkaufte Disney World gegenüber der Regierung von Florida nicht als Ferienort, sondern als richtige Stadt. Sie haben sicher schon von Epcot – The Experimental Prototype Community of Tomorrow – gehört. Wenn Sie ein Disney-Freak sind, wissen Sie vielleicht, dass die ursprüngliche
Grundidee nicht war, Tagestouren rund um die Welt zu simulieren, sondern eine tatsächlich existierende Utopie, eine Modellstadt und »lebendige Blaupause«, wie Disney es in besagtem Film so anschaulich beschreibt, während er vor wandgroßen Diagrammen von geometrischen Stadtplänen steht, die aussehen, als stammten sie aus dem 21. Jahrhundert oder aus der Zeit der Französischen Revolution. Zwanzigtausend Menschen sollten in dieser Community unter einer Glasglocke leben, »vollkommen eingeschlossen . . . klimatisiert . . . Shopper und Theaterbesucher . . . Tag und Nacht vor Regen, Hitze und Kälte und Feuchtigkeit geschützt . . . der Fußgänger wird König . . . über den Straßen werden nur Elektrofahrzeuge schweben.« Disney brachte die wichtigsten Industrieriesen dazu, für Epcot neue Technologien zu entwerfen und zu testen, um »Lösungen für die Probleme unserer Städte zu finden«.
Foglesong zeigt, dass Disney tatsächlich niemals gewollt hat, dass Menschen dauerhaft in Epcot lebten. In den Disney-Archiven stieß Foglesong auf eine Notiz, aus der dies klar hervorgeht: das sogenannte »Helliwell Memo«, das von einem seiner Anwälte geschrieben und mit Randbemerkungen von Walt persönlich versehen wurde. Disney hatte jede Erwähnung von »dauerhaften Bewohnern« gestrichen. Die Bewohner von Epcot sollten Besucher bleiben, Langzeittouristen, die höchstens ein paar Monate blieben. Wie hätte es auch anders sein können? Wenn Sie eine Stadt besitzen, in der Menschen wohnen, dann sind diese Menschen Bürger einer Gemeinde der Vereinigten Staaten, die einer Verwaltung untersteht – Ihrer Verwaltung. Aber als Bürger darf man wählen. Man darf Sie abwählen. Als Unternehmensstrategie taugt das nicht besonders. Aber ohne den Gemeindestatus hätte Disney keine legislativen Geschenke bekommen, keine aberwitzigen Steuervorteile und keine beispiellose Kontrolle über die Verwendung von Land und Wasser, über Bauverordnungen und so weiter. Um all das
zu erhalten, brauchte er Einwohner. Also tat Disney so, als wolle er tatsächlich welche. Foglesong argumentiert nun, dass aufgrund dieser Manöver die Rechtmäßigkeit von Disney World nicht geklärt ist. Das Unternehmen genießt die Vorteile einer autonomen Gemeinde (und sogar noch ein paar mehr), ohne je Bewohner gehabt zu haben. Streng genommen dürfte es Disney World gar nicht geben.
Wenn man all das weiß, ist es verstörend, sich den Werbefilm anzusehen. Ich ziehe es vor, aus der angenehmen Distanz linker Theorie meine Überzeugung von Disney als Feind der Demokratie zu pflegen. Disney verkaufte keine Utopie, sondern eine Perversion der klassischen utopischen Ideale. Sicher, es sollte kein Privateigentum geben, keinen Besitz (wie gesagt: wenn jemand Land besitzt, steht ihm auch ein Stimmrecht zu), doch anstatt Gemeindeland gerecht zu verteilen, wie es Sozialplaner seit Jahrhunderten vergeblich versucht hatten, sollten die Epcotianer lediglich Mieter sein. Pächter (so wie heute die Bewohner von Celebration in Florida, Disneys 1994 eröffneter Planstadt). Die hohen, architektonisch innovativen Bürogebäude in der Innenstadt? Sie würden »speziell entsprechend der lokalen und regionalen Bedürfnisse großer Unternehmen entworfen«. Und all das auf dem Boden, auf dem die frühesten gesellschaftlichen Utopien Nordamerikas zerstört worden waren, als die Siedler von South Carolina zu Beginn des 18. Jahrhunderts die heute vergessenen Franziskaner-Missionen von Spanisch-Florida niederbrannten, die
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