Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
Vom Netzwerk:
entspannen konnte. Vielleicht würde Mimi mit mir ähnliches Glück haben. Mir kommt es so vor, als bestünde ein großer Teil der Bemühungen von uns Eltern darin, unsere Kinder vor uns selbst zu schützen.
    Der Regen hörte so abrupt auf, als hätte jemand eine Kuppel über uns geschlossen. Wir stiegen aus, der Asphalt war nass, über uns ein unbeständiger Himmel, der keine zehn Minuten nach dem Regen heftige Hitze durchließ. Überall um uns herum pellten sich die Leute aus ihren Wagen und streckten ihre Glieder. Wir waren eine Armee sich entfaltender Insekten. Wir sammelten unsere Ausrüstung zusammen. Shell hatte einen Zwillingsbuggy mitgebracht. Darin würden immer zwei Kinder sitzen, während das dritte lief oder auf jemandes Schultern saß.
    Wir hatten kaum unsere Finger auf die biometrischen Scanner gelegt – denn wem kann man seine biologischen Daten anvertrauen, wenn nicht Disney –, als der gute Trevor die ersten Symptome zeigte. Am Morgen hatte er nicht rauchen können, im Hotel waren überall zu viele Leute gewesen; er lechzte nach einem Joint. Nicht, dass er schlecht gelaunt oder nervös gewesen wäre. Aber an seiner Körpersprache und der Länge seiner Sätze konnte ich erkennen, dass er daran dachte. Nichts bringt den Verstand so sehr dazu, nach einem Notausgang zu suchen, wie ein geschlossener Raum – und in Disney World vergisst man allem Gigantismus zum Trotz nicht eine Sekunde lang, dass man sich in einem besonders engen geschlossenen Raum befindet.
    Lil' Dog und die Damen segelten über uns auf dem Dumbo-Karussell vorbei, in drei aufeinanderfolgenden Elefanten. Mimi sah zaghaft glücklich aus. Ihr Gesicht sagte: »Ich bin grundsätzlich bereit, das hier als Spaß zu empfinden, solange es nicht schneller oder höher geht.« Trevor und ich lehnten am Geländer wie Wettende an der Rennbahn, wir lächelten und winkten jedes Mal, wenn sie vorbeikamen, als wären wir Puppen, deren Arme an Drähten befestigt waren. Trevor hatte sein Mobiltelefon in der Hand, die Website mit dem »Reiseführer« auf dem Display. Er las darin, wenn sie auf der anderen Seite ihrer Umrundung waren. Wir hielten eine Karte des Parks da
neben und stellten fest, dass eine der Stellen nicht weit entfernt war, ein wenig benutzter Wartungsweg mit Bäumen und ein paar Müllcontainern. Wenn einer an der richtigen Stelle Schmiere stand, konnte man dort relativ entspannt einen durchziehen. Wir schlichen uns davon.
    Und dann waren wir wirklich in Disney World angekommen. Dort landete man nicht jeden Tag. Also, was geht? Hallo, Primärfarben. Hallo, sekundenlang aufscheinende Mikrodramen vorbeiziehender Gesichter, die sich hundertfach für oder gegen Blickkontakt entscheiden müssen. Hallo, ewig gleiche Stände und Souvenirläden. Wir liefen auf unseren Fußballen. Die Oberfläche der Dinge war porös geworden und gestattete vielleicht sogar echtes Vergnügen. Wo waren unsere Frauen und Lil' Dog? Komm, gehen wir sie suchen. Lass uns gute Väter sein. Morgen war Vatertag. Oh Mann! Das hatte ich ganz vergessen!
    »Wir müssen nicht daran denken«, sagte Trevor. »Wir sind es ja selbst.«
    »Wir sind der Vatertag?«
    Wie um seiner Feststellung Nachdruck zu verleihen, hielt ich an und kaufte für einen obszönen Preis zwei blaue Plastik-Sprühflaschen mit Ventilatoren. Haben Sie die schon mal gesehen? Die sind wie ganz normale Pflanzenbefeuchter, nur mit einem kleinen Ventilator vor der Düse. Die Idee ist, dass man sich gleichzeitig Luft zufächelt und mit Wasser besprüht. Trevor und ich probierten sie aus, während wir unsere Familien suchten. Der Ventilator brachte gar nichts; Ventilator und Zerstäuber zusammen wirkten tatsächlich lindernd, aber nur einen grausam kurzen Augenblick lang, wie Eis bei Zahnschmerzen. Es war inzwischen Mittagszeit und so heiß, dass die Glut vom Asphalt unsere Zellen wie eine Mikrowelle zu erhitzen schien. Damit der Ventilator überhaupt etwas nützte, hätte man sich nonstop besprühen und bespritzen müssen, und das kam uns vor wie etwas, das nur Verrückte oder Pro
minente machen würden. Irgendwann hängten wir uns die Dinger an ihren Tragegurten über die Schulter und gingen weiter.
    Nächste Erinnerung: mit einem mechanischen Boot durch den »It's a Small World«-Themenpark gefahren und dabei ständig Mimi besprüht, die aussah wie ein gekochter Hummer, so rot waren ihre Wangen, so sehr glühte ihre kleine Stirn. Die ganze Zeit, in der ich sprühte, winkte sie den Puppen zu. Sie erwiderte das

Weitere Kostenlose Bücher