Pulphead
Arten wuchsen. Von unten
hatte der Hügel für einen Novembertag seltsam grün ausgesehen – jetzt war klar, warum.
Der Todesbaum selbst war riesig und herrlich anzusehen. Seine Blätter klimperten unaufhörlich im Wind eines stürmischen Tages, als habe man die Zweige mit dünnen Kupfermünzen behängt. Der Baum hatte schon vor dem ersten Hoskins hier gestanden.
Man fand Bill Sparkman aufgeknüpft an einem der Äste, er hing jedoch nicht in der Luft. Die Tatsache, dass Teile seines Körpers den Boden berührten, war der Polizistin wichtig gewesen (über Gebühr, wie ich fand). Anders ausgedrückt: Er baumelte nicht, wie man es auf Bildern von Lynchmorden sieht. Sparkmans Hände waren mit Isolierband gefesselt, in seinem Mund steckte ein roter Knebel. Bis auf die Socken war er nackt. Neben dem verdächtigen Wort auf seiner Brust fiel vor allem sein Dienstausweis auf. Abwehrspuren gab es nicht. Er war genau hier den Erstickungstod gestorben.
Mord, Selbstmord, Unfall – die Polizeichefin bestätigte, unfassbarerweise, wie ich fand, dass man noch keine der drei Möglichkeiten ausgeschlossen hatte. Es war schwer zu begreifen. Selbst-Lynchmord?
Ein paar Tage vor meiner Ankunft hatte eine regionale Zeitung eine Kontaktperson bei einer Polizeibehörde zitiert, die nicht direkt mit dem Fall befasst war, aber angedeutet hatte, wer verstehen wolle, was mit Bill Sparkman geschehen sei, solle sich noch einmal den Tod von David Carradine vor Augen führen. Carradine, Sie erinnern sich vermutlich, wurde im Schrank seines Hotelzimmers in Bangkok erhängt aufgefunden. Offenbar war bei einer autoerotischen Handlung etwas schiefgegangen.
Oder hatte die Quelle sich auf die Familie des Schauspielers bezogen, als sie Carradine ins Spiel brachte? Einige Angehörige beharrten schließlich immer noch darauf, er sei einem als autoerotischer Erstickungstod getarnten Mord zum Opfer gefallen.
Ich legte mich ins Moos. Es war unglaublich weich. Wie eine Matratze, die sich ein Milliardär mit Rückenproblemen maßschneidern lassen würde. Kein bisschen nass oder matschig.
Wenn es ein Tötungsdelikt gewesen war – ob nun vorsätzlich oder versehentlich –, steckte dann vielleicht eine Sache unter Schwulen dahinter? Nicht gerade die aufgeklärteste aller Fragen, aber sie stellte sich. Wenn man wollte, konnte man Sparkmans Vita problemlos auf eine doppeldeutige Art zurechtbiegen. Mittelalter Junggeselle, ehemaliger Messdiener, alleinerziehender Vater eines adoptierten Sohnes, lebenslange Verbindungen zu den Pfadfindern, Aushilfslehrer an der Grundschule, feminine Stimme. Das letzte Detail kannte ich, weil ich mir im Internet eine Rede angehört hatte, die Sparkman im Jahr zuvor gehalten hatte. Nachdem er an einer Online-Universität seinen Abschluss gemacht hatte, bat man ihn, im Namen seiner Klasse ein paar Worte zu sagen. Seine Geschichte war dazu angetan, andere zu inspirieren. Während er sich auf die Prüfungen vorbereitete, hatte er nämlich gegen eine Krebserkrankung gekämpft, wie es damals aussah mit Erfolg. Er war ein Mann mit einem runden, teigigen, freundlichen, bebrillten Gesicht und schütterem rötlichem Haar. Auf dem Bild, das man am häufigsten von ihm sah, trägt er eine Wollmütze, die seinen nach der Chemotherapie kahlen Kopf bedeckt; er beugt sich von hinten über die Schulter eines männlichen Schülers und deutet auf etwas auf einem Stück Papier.
Während ich dort lag, glühten die Drähte der TV - und Radioexperten, die Blogosphäre rauschte; überall wurde darüber spekuliert, was auf diesem moosbewachsenen Hügel nun passiert sein mochte oder eben nicht.
War Sparkman auf seiner Volkszählrunde Psychopathen in die Arme gelaufen, die dort unten Crystal Meth brauten? Hatte er sie gefragt, wie viele Menschen in ihrem Wohnwagen lebten und womit sie ihr Geld verdienten? Hatte er sich so den Erstickungstod eingebrockt?
Die Linken witterten, dass etwas unter den Teppich gekehrt werden sollte. Sparkmans Blut klebe an den Händen all der Glenn Becks und Michele Bachmanns dieses Landes. Die Rechten klammerten sich derweil an jedes vage Indiz, das dafür sprach, dass es sich nicht einmal um Totschlag handelte, geschweige denn um eine politische Hinrichtung. Da sieht man ja mal wieder, wie schnell Ihr Linken dabei seid, wenn es darum geht, uns zu dämonisieren! Beide Seiten fauchten sich an, ein Ritual, das heute so routiniert abgespult wird wie eine Nummer aus der West Side Story .
Verspätete orangefarbene
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