Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puls

Puls

Titel: Puls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
erschienen.

3
    Um acht Uhr an jenem Morgen saß Clay auf einer Bank an einem Ende des Siegesgartens des Rektors und sagte sich, wenn er nicht so gottverdammt müde wäre, würde er seinen lahmen Arsch hochwuchten und für den alten Knaben eine Art Gedenktafel anfertigen. Sie würde nicht lange halten, aber der Kerl hatte sie dafür verdient - wenn schon für nichts anderes -, wie er sich seines letzten Schülers angenommen hatte. Das Dumme war nur, dass er irgendwie nicht einmal wusste, ob er sich aufrappeln, ins Haus ta-pern und Tom wecken konnte, damit der die nächste Wache übernahm. Ich bin irgendwie ziemlich fertig, dachte er.
    Bald würde es einen kühlen, schönen Herbsttag geben - einen, der fürs Apfelpflücken, Mostmachen und Touch-Football auf dem Rasen hinter dem Haus wie geschaffen war. Vorerst war der Nebel noch dicht, aber die Morgensonne schien bereits stark hindurch und tauchte die winzige Welt, in der Clay saß, in blendend helles Weiß. Mikroskopisch kleine Wassertropfen schwebten in der Luft, und hunderte von winzigen Regenbogen schwebten vor seinen schweren Augen.
    Aus diesem gleißend hellen Weiß heraus nahm etwas Gestalt an. Einen Augenblick lang schien die Kapuzenjacke des Lumpenmanns wie von allein zu schweben, aber als sie dann den Garten herauf auf Clay zukam, wurden das dunkelbraune Gesicht und die Hände ihres Trägers sichtbar. An diesem Morgen war die Kapuze hochgeklappt und rahmte das entstellte lächelnde Gesicht und die schrecklichen tot-lebendigen Augen ein.
    Hohe Gelehrtenstirn, durch eine Schnittwunde entstellt.
    Schmutzige, formlose Jeans, an den Taschen eingerissen, nun schon über eine Woche getragen.
    HARVARD quer über der schmalen Brust.
    Beth Nickersons Colt steckte in dem behelfsmäßigen Holster, das Alice für ihn organisiert hatte. Clay fasste ihn nicht einmal an. Der Lumpenmann blieb ungefähr drei Meter von ihm entfernt stehen. Er - es - stand auf dem Grab des Rektors, und Clay glaubte zu wissen, dass das kein Zufall war. »Was willst du?«, fragte er den Lumpenmann ... und beantwortete seine Frage sofort selbst: »Dir. Was sagen.«
    Er saß da und starrte den Lumpenmann sprachlos erstaunt an. Er hatte Telepathie erwartet oder auch gar nichts dergleichen. Der Lumpenmann grinste - insofern er mit seiner schlimm gespaltenen Unterlippe grinsen konnte - und breitete die Hände aus, als wollte er sagen: Pah, war doch nix dabei.
    »Dann sag, was du zu sagen hast«, forderte Clay ihn auf und machte sich darauf gefasst, dass seine Stimme ein weiteres Mal gekidnappt wurde. Ihm war sofort klar, dass das etwas war, wogegen man sich nicht wappnen konnte. Es war nicht anders, als würde man in eine grinsende Puppe verwandelt, die auf dem Knie eines Bauchredners saß.
    »Geht. Heute Nacht.« Clay konzentrierte sich, dann sagte er: »Sei ruhig, hör auf damit!«
    Der Lumpenmann wartete und war die Ruhe selbst.
    »Ich glaube, ich kann dich fern halten, wenn ich mich anstrenge«, sagte Clay. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass ich's kann.«
    Der Lumpenmann wartete. Bist du endlich fertig?, schien seine Miene zu fragen.
    »Bitte weiter«, sagte Clay, dann sagte er: »Ich könnte. Mehr mitbringen. Ich bin. Allein. Gekommen.«
    Clay überlegte, was passieren würde, wenn der Lumpenmann seinen Willen mit dem eines ganzen Schwarms vereinigte, und gestand ihm zu, in diesem Punkt die Argumente auf seiner Seite zu haben.
    »Geht. Heute Nacht. Norden.« Clay wartete, und als er sicher wusste, dass der Lumpenmann seine Stimme nicht länger benutzen wollte, fragte er: »Wohin? Weshalb?«
    Diesmal blieben die Worte aus, aber vor ihm erschien plötzlich ein Bild. Es war so klar, dass er nicht wusste, ob es vor seinem inneren Auge stand oder ob der Lumpenmann es irgendwie auf den blendend hellen Nebelhintergrund projiziert hatte. Er las wieder genau das, was auch jemand mit rosa Kreide mitten auf die Academy Avenue gekritzelt hatte:
    KASHWAK = NO-FO
    »Das verstehe ich nicht«, sagte er.
    Aber der Lumpenmann ging bereits fort. Einen Augenblick lang sah Clay die rote Kapuzenjacke wieder scheinbar leer durch den Nebel davonschweben, dann war auch sie verschwunden. Clay blieb lediglich der schwache Trost, dass sie ohnehin nach Norden wollten - und dass ihre Gnadenfrist um einen weiteren Tag verlängert worden war. Was bedeutete, dass niemand Wache zu halten brauchte. Er beschloss, ins Bett zu gehen und die anderen ebenfalls durchschlafen zu lassen.

4
    Jordan wachte bei klarem

Weitere Kostenlose Bücher