Pulverfass Iran
internationalen Vergleich seien die Zahlen unglaublich. Die Patienten seien meist junge Frauen zwischen 17 und 30, so der Mediziner. „Im Iran sind die Nasen im Vergleich zu Europa größer, deshalb ist auch die Zahl der Operationen so hoch“. Der Grund für diese Operationen ist selten ein medizinischer oder auch nur tatsächlich ästhetischer. Sie bedeuten vor allem einen Zuwachs an gesellschaftlicher Anerkennung. Dr. Fatahi erklärt uns, dass Schönheit eines der höchsten Güter im Iran sei. „Wir sind nicht nur Ärzte, sondern eigentlich Psychologen mit Skalpell“, resümiert er seinen Job. Schönheitsoperationen sind auch eine Art „stiller Protest“ gegen die Verbote des Regimes. Es ist der Ausdruck eines zivilen Widerstandes gegen eine Obrigkeit, die den Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Die männlichen Jugendlichen zeigen ihre Gelfrisuren, ihre operierten Nasen oder zerrissenen Jeans bewusst, um ihrem Protest gegen das Regime Ausdruck zu verleihen und zu zeigen, dass sie stattdessen Freiheit und Demokratie wollen. „Sehen Sie sich doch mal auf der Straße um. Da gibt es Drogenabhängige und Arbeitslose unter den Jugendlichen. Jeder sucht einen Weg, seiner Verzweiflung und seinem Protest Ausdruck zu verleihen. Wir lassen uns eben die Nase richten“, berichtet uns die junge Iranerin Fereshteh in einem Coffeeshop. „Ich hatte eine hübsche Nase, aber habe sie trotzdem operieren lassen, weil es hier jeder so macht. Bald werde ich meine Lippen spritzen lassen. Das ist auch ein Weg zur Freiheit. Wir haben einfach ein Problem, uns in dieser Gesellschaft so zu akzeptieren wie wir sind“, so das Statement einer anderen hübschen Frau, die ein O P-Pflaster trägt. An Fereshtehs Gesicht ist kein Makel zu erkennen. Es gehe vor allem darum, Grenzen zu überschreiten, teilen uns andere mit. Dafür mache man manchmal Sachen, die eigentlich übertrieben seien. Und so sehen wir überall im öffentlichen Leben Jugendliche mit |53| Pflastern, die sich als heimliche Revoluzzer fühlen. Es ist zwar auch der Versuch, den Westen, den viele nur aus Hollywood-Filmen, Zeitschriften oder vom Hörensagen kennen, nachzuahmen, aber vor allem eine Form des Protests. Die Mehrheit, so erfahren wir, denkt, wenn sie sich so kleide wie im Westen, sei sie auch so frei wie im Westen. Die Geistlichkeit reagiert noch sehr zurückhaltend auf den Boom der Schönheitsoperationen. Wir besuchen den Geistlichen Mohammad Jalali von der Theologischen Schule in Teheran bei einer seiner Koranstunden. Jalali, der auch Frauen im Koran unterrichtet, lehnt diese Schönheitsrevolution kategorisch ab und beruft sich dabei auf das heilige Buch der Muslime, den Koran: „Der Islam sieht es als verwerflich an, wenn der Mensch manipulierend in Gottes Werk eingreift, sich selbst Schaden zufügt oder verletzt. Der Mensch erneuert vielleicht seine Fassade, zerstört aber damit seine innere Schönheit“, erklärt er uns dogmatisch. Das Frauenbild der geistlichen Führer scheint unverrückbar, denn sie sehen die Frauen am liebsten beim Studium des Koran. Entsprechend harsch fällt sein Urteil über die „jungen Wilden“ aus: „Leider ist diese Entwicklung das Ergebnis des Einflusses fremder, westlicher Kulturen“, gibt er uns zu verstehen. Mariam ist diese Haltung ziemlich egal; sie lässt sich trotzdem die Nase richten. Als wir sie am dritten Tag nach ihrer Operation besuchen, ist sie zwar noch ein bisschen benommen und die Operationsnarbe noch ziemlich frisch, aber nach einem ersten vorsichtigen Blick in den Spiegel sagt sie: „Ich bin sehr glücklich über meine neue Nase. Ich fühle mich jetzt wie neugeboren, erleichtert, einfach befreit“. Auch Dr. Fatahi ist zufrieden mit seiner Arbeit und geht weiter zur nächsten Patientin. Doch auch wenn das Schönheitsideal vieler Iranerinnen nicht mit den Moralvorstellungen der islamischen Sittenwächter übereinstimmen mag – die Regierung muss die Zeichen der Zeit erkennen. Inzwischen akzeptiert sie zumindest stillschweigend den Körperkult, den man in vielen Parks von Teheran besichtigen kann: Frauen veranstalten dort |54| öffentliche Gymnastikstunden. Darüber hinaus gibt es in Teheran mittlerweile auch Fitnessclubs, die speziell für weibliche Mitglieder geöffnet sind.
Die Revolution frisst ihre Kinder
Eine Party irgendwo in der iranischen Hauptstadt. Hinter verschlossenen Türen feiert die junge Elite. Ob Heroin, Crack, Ecstasy oder Opium, hier ist alles zu bekommen. „Wir sind
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