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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Stereoanlage, keine einzige CD. Wenigstens ein Telefon hing an einem Kabel. Es war ein altes Modell ohne Display. Schielin hob ab und drückte die Wiederwahltaste. Wenigsten die war vorhanden. Eine ganze Melodie war beim Wählen der Nummer zu hören. Es musste eine lange Nummer sein. Vermutlich eine im Ausland. Schielin ließ es zehnmal tuten, dann legte er auf und widmete sich erneut den Bücherregalen.

    Als sie mit der Sichtung fertig waren fragte Schielin: »Deine Meinung?«
    Lydia Naber warf einen fassungslosen Blick in den Raum, hielt mit der linken Hand ihr Kinn und schüttelte den Kopf. »Du, wenn ich das hier sehe, fange ich an, mein Chaos zu Hause zu lieben. Wie hat der bitte gelebt, also ich meine gelebt!? Das war doch kein Leben, hier hält man es doch nicht aus, wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt. Nein, das ist kein Zuhause, es ist eine Unterkunft. Der kann doch nicht viermal im Jahr Krieg und Frieden gelesen haben oder Zauberberg oder Der Stechlin. Geht doch nicht. Das ist doch krank.«
    Schielin sah aus dem Fenster und sagte laut »Armselig«
    »Was sagst du?«, fragte sie.
    Er drehte sich um und wiederholte. »Armselig. Es ist armselig, und zwar materiell und immateriell. Dieser Ottmar Kinker, der ist doch einer Arbeit nachgegangen und hat sicher nicht schlecht verdient. Die Miete für diese Wohnung wird nun auch nicht so gewaltig sein. Was hat der mit seinem Geld gemacht, oder anders – wo ist die Kohle? Irgendwo müssen doch ein paar Aktenordner zu finden sein mit dem ganzen Kram. Versicherungen, Bankverbindungen, Mietsachen, du weißt schon.«
    Gemeinsam durchsuchten sie die wenigen Regale und Schränke und fanden nichts. Lydia Naber stellte fest, dass die Küche in einem unnormal sauberen Zustand war. Im Kühlschrank stand ein Senfglas, daneben lag eine ungeöffnete Packung Butter, deren Haltbarkeitsdatum kurz vor dem Ablauf war, ein Becher Margarine, zwei Packungen H-Milch, zwei Gläser Aprikosenmarmelade, von denen eines zur Hälfte leer war. Es gab kein Brot, es fanden sich weder Nudeln noch Kartoffeln. Der Papierkorb war leer und roch nicht, wie Schielin feststellte.
    »Er hat hier nicht gegessen. Das ist unmöglich. Das ist ja klinisch sauber hier, und er hat hier auch nichts gekocht. Normalerweise würde ich sagen, war er halt unten im Hotel Mama und ist da versorgt worden – aber von Hotel Mama sind wir hier ja weit entfernt. Ich kann mir das im Moment nicht erklären. Es kann aber auch sein, dass er hier nicht mehr den – wie heißt es so schön – Mittelpunkt seines Lebensinteresses hatte. Kann doch auch sein, oder? Ich habe fast den Eindruck, er hat hier nicht mehr sonderlich viel Zeit verbracht. Und das passt irgendwie auch nicht zu ihm.«
    Lydia sah ihn skeptisch an. »Zu ihm?«
    »Na ja. Ich habe den schon öfter gesehen. Aber mir ist doch einiges von früher eingefallen. Der war schon gesellig, hat sogar Musik gemacht, soweit ich mich erinnere. Aber dann irgendwann ist er irgendwie von der Bildfläche verschwunden.« Er wies in die Wohnung. »Wenn einer selbst Musik macht, dann ist das doch ein Mensch, der daran Freude hat, oder? Also ein Mensch, der fähig ist, am Leben Freude zu empfinden, die schönen Dinge zu genießen, und keiner, der sich eine Einsiedelei baut. Und das hier ist nicht das Zuhause eines Menschen, der Lebensfreude empfindet.«
    »Du sagtest ja – früher. Er hat sich eben geändert. Sieht man ja.«
    »Genau. Was kann einen Menschen derart verändern?«
    »Gute Frage. Wir wissen also noch gar nichts. Stellen wir also den lieben Nachbarn ein paar Fragen«, meinte Lydia und klingelte kurz darauf an der Wohnungstüre im Erdgeschoss.

    Schielin fing ganz oben an und stieg die Treppe zum zweiten Stock empor. Am Klingelschild stand Haack. Eine Frau öffnete ungewohnt schnell und weit die Haustür, so als hätte sie auf Schielins Klingeln gewartet. Sie trug ein Kleinkind auf dem Arm und sah ihn überrascht an.
    Schielin stellte sich leise vor, um das Baby nicht zu erschrecken, und bat, eintreten zu dürfen. Frau Haack war sichtlich erschüttert von dem was er ihr gleich zu Beginn berichtete. Es dauerte eine Weile, bis er seine Fragen loswurde. Immer wieder musste sie Tränen abwischen. Während dieser Unterbrechungen sah Schielin sich im lichten, wohnlichen Raum um. Es roch angenehm nach einem Gemisch aus Gewürzen, Tee, dezentem Parfüm und darüber fein, aber dennoch dominierend, ein Hauch von Babyöl.
    Frau Haack bedauerte es, nicht viel über Ottmar Kinker

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