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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Worten sprach sie die Schwester an: »Ihr Bruder ist nach unseren bisherigen Erkenntnissen gestern getötet worden. Haben Sie ihn nicht vermisst?«
    Helmtraud Kinker warf ihr einen kurzen, strafenden Blick zu und antwortete mit fester Stimme. »Mein Bruder hatte seine eigene Wohnung.«
    Ihre Mutter sah derweil stumm und ärgerlich zum Fenster hinaus. Schielin hatte schon einiges erlebt, aber das hier war doch eine ganz besondere Nummer. Die beiden alten, verbitterten Weiber taten gerade so, als gäbe es einen Grund, dem Toten böse zu sein, weil er sich hatte ermorden lassen.
    Lydia nahm die unerfreulich-sachliche Antwort elegant auf. »Ja, richtig. Die Wohnung Ihres Bruders. Die müssen wir uns noch ansehen. Haben Sie einen Schlüssel dafür?«
    »Natürlich.«
    »Den bräuchten wir dann später. Wann haben Sie Ihren Bruder zuletzt gesehen? War er gestern noch hier?«
    Diesmal antwortete die Mutter mit einer alten, knarrenden Stimme, die so klang, als würde sie nicht oft gebraucht. »Ja. Er war gestern Mittag hier. Er war kurz hier herunten.«
    »Können Sie sich an die Zeit erinnern?«
    »Es war kurz vor eins.«
    Schielin war aufgefallen, das Helmtraud Kinkers Augen kurz aufblitzten, als ihre Mutter sagte, dass Ottmar Kinker gestern noch hier in der Wohnung gewesen sei. Sie schwieg jedoch und bediente abwechselnd ihn und seine Kollegin mit feindseligen Blicken. Vielleicht war er aber auch nur zu wenig objektiv. Vielleicht ließ er sich in der vorschnellen Beurteilung der beiden Frauen von der ungerechten Verteilung seiner Sympathien leiten und interpretierte das Verhalten der beiden völlig falsch. Es war so anders als alles, was er bisher erlebt hatte. Er wusste nur, dass Trauer im Grunde eine einsame Angelegenheit war. Er hörte auf damit, die Äußerungen der beiden sicherlich wenig Sympathie erzeugenden Frauen zu bewerten, und war andererseits fast froh, diesmal von hysterischem Schreien und Gekreische verschont zu bleiben. Wichtiger war für sie einzig das Sammeln von Informationen.
    Lydia Naber fragte: »Worüber haben Sie gestern geredet, als er hier war?«
    Schweigen.
    »Gab es vielleicht Streit?«, hakte Lydia nach.
    »Nein, es gab natürlich keinen Streit«, antwortete die Schwester.
    »Ach, Sie waren auch hier?«, fragte Lydia unschuldig.
    »Nein«, stieß Helmtraud Kinker hervor, wobei sich ihre Stimme überschlug, »ich war nicht hier, aber wenn es Streit gegeben hätte, wüsste ich davon.«
    Lydia Naber beließ es bei einem »Mhm.«
    »Er war nur kurz hier und hat mir einen Brief gebracht, der für uns war, aber versehentlich in seinem Briefkasten gelandet war. Wir haben uns über nichts unterhalten. Er war gleich wieder unterwegs«, sagte die Alte ohne den Blick vom Fenster zu wenden.
    »Gut. Wo arbeitete ihr Sohn?«
    »In Ravensburg.«
    »Ich meinte … bei welcher Firma?«
    Helmtraud Kinker antwortete, da ihre Mutter den Firmennamen nicht kannte. »Aureum Immobilien.«
    »Hat sich jemand von der Arbeitsstelle bei Ihnen gemeldet?«
    Schweigen.
    »Wünschen Sie, dass wir jemanden verständigen, einen Verwandten … gibt es jemanden?«
    Nach einigem Zögern drehte sich Helmtraud Kinker um. »Nein. Meiner Mutter Schwesterkind wird kommen. Nicht nötig. Wir machen das selbst.«
    Schielin brauchte eine Weile, um aus der veralteten und umständlichen Wortwahl Helmtraud Kinkers eine brauchbare Information zu erhalten. Ihre Cousine oder ihr Cousin würde also kommen. Auch nicht schlecht, dachte Schielin und sah zu Lydia, wobei er fast unmerklich den Kopf schüttelte. Er wollte jetzt hier raus. Er erläuterte noch, dass in solchen wie dem vorliegenden Fall eine gerichtsmedizinische Untersuchung unabdingbar sei und sie Bescheid bekämen, sobald die Leiche für eine Beerdigung freigegeben wäre. Dann verabschiedeten sie sich und gingen einen Stock höher in Ottmar Kinkers Wohnung. Schielin war sehr verwundert, denn keine der beiden machte Anstalten, sie zu begleiten, was er von der Mutter auch eigentlich nicht erwartet hatte, wohl aber von Helmtraud Kinker.
    Als sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatten und in einem düsteren, durch Einbauschränke eng gewordenen Vorraum standen, sagte Lydia zu ihm. »Es gibt hier nichts, was uns direkt weiterbringen wird.«
    »Wie kommst du denn auf so was? Wir sind noch nicht mal in der Wohnung.«
    »Weil das Schwesterchen sonst mitgekommen wäre. Die weiß genau, was hier los ist, das garantiere ich dir. Die kennt hier jeden Fetzen Stoff, jeden Brief und weiß

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