Pulverturm
dachte. Es war ja nicht so, dass er dort außergewöhnlichen Anfeindungen oder Unfreundlichkeiten ausgesetzt gewesen wäre. Es war etwas anderes, das dieses Gefühl von Trostlosigkeit und Verlorenheit erzeugte. Während er den verzerrten Spiegelungen der Türme von St. Stephan und der Stiftskirche folgte, wurde ihm klarer, was ihm so bedrohlich erschien. Meta Kinker, in ihrer starren Pose am Tisch sitzend, den Blick aus dem Fenster gerichtet, vernichtete die Zeit, die ihr gegeben war. Sie saß da, entschlossen, grimmig, von nichts und niemandem an ihrem Tun zu hindern, die Zeit vorüberstreichen zu lassen. Vielleicht war es das, was sie bei ihrem immer gleichen Blick aus dem Fenster verfolgte.
*
Einige Zeit später saß er zusammen mit Funk in dessen Büro und verfolgte die Aufzeichnung der Überwachungs-DVD. Sie hatten Aufnahmen von allen Abteilungen des Quadratmetermonsters, den Kassen, dem Eingang und eine Dauerübersicht der Einfahrt zum Parkbereich. Auf dem Bildschirm sahen sie auf lange Reihen Wasserkocher und Rasierapparate. Eine Frau führte in einer der Regalreihen einen Staubsauger vor, ein Pärchen stand mäßig interessiert daneben, und in der Reihe dahinter protzte eine Armada zeitgeistiger Kaffeemaschinen.
»Da! Da!«, rief Schielin aufgeregt, als er Ottmar Kinker ins Bild laufen sah. Er wunderte sich, wie ihn diese Aufnahmen in Aufregung versetzten. Es war ein eigenartiges Gefühl, einen Menschen bei der Erledigung so banaler Tätigkeiten zu beobachten, im Wissen, dass sein Leben kurze Zeit darauf ein gewaltsames Ende gefunden hatte.
Auch Funk war nach vorne gegangen, als er Kinker entdeckt hatte. Sie verfolgten, wie Ottmar Kinker zielstrebig zum Regal mit den Kaffeemaschinen lief, in der Mitte des Ganges verharrte und eines der Modelle in Augenschein nahm, jedoch mehr in der Art, dadurch eine schon getroffene Wahl letztlich zu bestätigen. Schielin beugte sich bei dieser Szene noch weiter nach vorne, denn etwas war ihm aufgefallen. Aber was? Er verfolgte, wie Kinker einen Karton aus dem Regal nahm und zur Kasse ging, ohne sich von Rasierapparaten oder Wasserkochern ablenken zu lassen. Schielin kam die stockende und doch entschlossene Art und Weise, wie Kinker sich den Karton griff, eigentümlich vor. So als wolle er es tun, gleichzeitig aber auch wieder nicht; als koste es ihn Überwindung und verschaffte Befriedigung zugleich.
Schielin merkte sich die Uhrzeit der Überwachungsaufzeichnungen, spulte im Track der Kassenüberwachung zum entsprechenden Zeitstempel und sah, wie Ottmar Kinker bar bezahlte. Schein für Schein legte er auf den Kassentisch, und die Ernsthaftigkeit seines Tuns vermittelte den Eindruck, er vollzöge eine rituelle Handlung. Als der Vorgang des Bezahlens erledigt war, ging Kinker ohne Umstände zum Ausgang. Schielin lehnte sich zurück und überlegte. Was hatten sie gerade gesehen, und was konnten sie damit anfangen. Robert Funk wollte gerade zum letzten Track springen, der Ausfahrt. Es wäre ja interessant, festzustellen, ob Ottmar Kinker wirklich alleine in seinem Auto sitzen würde.
»Geh noch mal zurück zu dem Regal mit den Kaffeemaschinen«, bat Schielin.
Sie sahen sich die Sequenz, in welcher Ottmar Kinker vor dem Regal stand und die Kaffeemaschine betrachtete, mehrfach an. Schielin musste schlucken und fragte Robert Funk. »Siehst du es auch?«
»Was soll ich sehen?«
»Spul das noch mal zurück.«
»Da spult nichts mehr«, sagte Funk trocken und grinste hintergründig.
Schielin schnitt eine Grimasse und folgte der Wiederholung.
Er fragte, »Und?«
Funk zuckte mit den Schultern und fragte, während er etwas verlegen seine Fliege geradezog. »Was siehst du bitte, das ich nicht sehe?«
Schielin leitete Funk, der mit der Fernbedienung hantierte, bis zu einer bestimmten Stelle, wo er auf Standbild stellen musste. Schielin ging zum Bildschirm und deutete auf einen Mann, der zwei Regalreihen weiter hinten stand. »Jetzt geh noch mal zum Anfang zurück und beobachte diesen Typen und Kinker«
Robert Funk tat wie geheißen und verfolgte, wie ein elegant gekleideter Mittvierziger die Regalreihen entlangging, jedoch ohne einem der Produkte seine Aufmerksamkeit zu schenken. Die Richtung seiner finsteren Blicke galt ausschließlich einem Ziel: Ottmar Kinker. Er bewegte sich im Kreis um diesen herum, immer ein, zwei Regalreihen entfernt, und für jemanden, der dem sachlichen Blick der Kamera folgen konnte, erschien es kaum verdeckt, und die Aufdringlichkeit seiner Blicke
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