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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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alten Holztisch, knipste die giftgrüne Schreibtischleuchte aus den Siebzigerjahren an. Mit den Handschuhen holte sie das Testament samt Kuvert aus den Sicherungsumschlägen und las.
    Schon nach den ersten Zeilen schüttelte sie den Kopf, und begann noch einmal zu lesen. Es lagen einige Dokumente in russischer Sprache bei, samt beglaubigter deutscher Übersetzung. Sie brauchte einige Zeit bis sie alles gelesen hatte, und sie benötigte noch einiges länger, um die Zusammenhänge zu erfassen. Als das geschehen war, musste die Sache mit den Fingerabdrücken warten, und sie ließ die Papiere liegen, wie sie waren. Eine ungute Ahnung breitete sich in ihr aus, und sie eilte sich, um Schielin aufzutreiben. Sie mussten jetzt schnell sein.
    *
    Walther Lurzer war tatsächlich im Büro. Schielin fuhr schon die Ladestraße entlang, als er ihn am Telefon hatte und kurz erklärte, dass er seine Hilfe benötigen würde. Vor den alten Laderampen der ehemaligen Bahnlager rangierte umständlich ein Lastzug. Die prachtvollen Linden, Ahorne, Pappeln und Ulmen, die den Uferweg säumten, waren noch kahl. Nur an den Astspitzen waren die ersten zaghaften Blattknospen als dunkle Punkte auszumachen. Noch drei, vier Tage Sonne, und die grüne Explosion würde sich über Nacht vollziehen. Die Magnolien auf der Insel hatten vor einiger Zeit bereits vorgeführt, wie das aussehen konnte. Schielin war eigens dort gewesen, und jedes Mal wieder meinte er, es sei schöner und klarer als jemals zuvor.
    Er fuhr bedächtig die Eichwaldstraße in Richtung Zech, wechselte über die Bahnlinie und schließlich auf die Bregenzer Straße. Von der alten Grenze war nichts geblieben. In den Gebäuden befanden sich zwar die Büros der Kollegen von der Fahndung, aber außer einem Schild wies nichts mehr auf die Grenze hin. Für Schielin gab es diese Grenze im Sinne dessen, was formal trennte, sowieso nicht mehr, und eigentlich hatte es sie für ihn nie gegeben. Was existierte und was er als Bereicherung empfand, war der unsichtbare Eintritt in eine Welt, in der Deutsch anders gesprochen wurde und in der eine wohltuend andere Herangehensweise zu vielen Dingen bestand. Für Schielin wie für Walther Lurzer gab es, was ihre Tätigkeit betraf, keine geografische Grenze. Sie halfen sich, wo es ging, und sie verband eine langjährige Freundschaft.

    Der Fall der Grenzen hatte ein neues Bewusstsein für Regionen geschaffen, und der Blick zurück zwang zur Frage, aus welchem Grund es überhaupt jemals eine solche Grenze hatte geben müssen. Während er dem Ufer des Sees folgte dachte er über die vielen Umbrüche der letzten Jahre nach und kam im Blick auf das Leben seiner Eltern und Großeltern zu dem Ergebnis, dass es ein großes Glück war, sein Leben in einer Epoche des Friedens, des Wohlstands und der fallenden Grenzen verbringen zu dürfen.

    Die Büros der Sicherheitsdirektion in der Bahnhofstraße waren zweckmäßig. Walther Lurzer empfing ihn mit frischem Kaffee und herzlicher Begrüßung. Wie nebenbei, als sie den Stand der familiären Verhältnisse – wozu auch der Gemüts- und Gesundheitszustand Ronsards gehörte – erörterten, schob Schielin das Autokennzeichen des Jaguars über den Schreibtisch, und Walther Lurzer tippte auf der Tastatur, ohne seinen Erzählfluss zu unterbrechen. Wie nebenbei schob der Drucker kurz darauf einige Blätter heraus. Walther Lurzer stand auf, nahm den Stoß und reichte ihn, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, an Conrad Schielin weiter. Er war gerade bei den sportlichen Leistungen seines jüngsten Sohnes angekommen, er fuhr Ski im A-Kader, und da gab es viel zu berichten Schielin legte die Blätter unbesehen zur Seite und folgte den mit reichhaltiger Gestik unterlegten Ausführungen seines Kollegen. Als der zu Ende war und auch noch sein Telefon klingelte, war Zeit, die Ausdrucke zu studieren.

    Auf dem ersten Blatt fanden sich die Fahrzeugdaten eines bordeauxroten Jaguar Souvereign. Darunter folgte der Name des Halters und weitere auf ihn zugelassene Fahrzeuge. Dazu gehörten ein Ford Mustang und ein Mercedes SL. Geld schien keine Rolle zu spielen bei diesem Josef Reginald Pawlicek, dachte Schielin.
    Auf den folgenden Blättern fand sich eine Auflistung der Kriminalaktenbestände dieses Pawlicek. Conrad Schielin spürte, wie er aufgeregter wurde, während er die Liste überflog. Reihenweise waren Einträge mit Förderung der Prostitution vorhanden, dazwischen immer wieder Unterschlagung, Hausfriedensbruch und die eine

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