Pulverturm
war derart intensiv, dass man sich fragen musste, ob Ottmar Kinker diese nicht bemerkt haben müsste. Doch der schien ganz auf die Kaffeemaschine konzentriert zu sein.
»Der hat ihn oberserviert, aber so was von einwandfrei observiert«, bestätigte Funk und sprang weiter zur Parkplatzüberwachung. Sie sahen wie Ottmar Kinker mit seinem Auto den Parkplatz verließ. Er saß alleine im Wagen.
Funk wandte sich zu Schielin und ließ das Band weiterlaufen. »Ich lasse Prints von dem Typen raus. Der kommt bockelscharf rüber. Hat übrigens eine nette Rolex am Armgelenk. Komische Type, findest du nicht auch? Dieser schwarze, edle Anzug, die etwas zu protzige Uhr, die Haare einen Tick zu lang. Ist irgendwie keine schlüssige Figur, finde ich, geht eher so in Richtung Milieu. Aber was hat dieser komische Kerl bloß mit dem Kinker …«
»Stopp! Stopp!«, rief Schielin aufgebracht, der Funk zwar zugehört, aber weiterhin der monotonen Szenerie des Überwachungsfilms gefolgt war. Autos kamen, Autos fuhren.
Robert Funk erschrak, stoppte die Aufzeichnung und spulte zurück. Schielin beugte sich nach vorne, als ob er dadurch noch besser sehen konnte, wie ein Jaguar Souvereign den Parkplatz verließ. Der Fahrer war wegen der getönten Scheiben nicht zu erkennen, doch Schielin wusste, dass er eine nette Rolex am Arm tragen – und dass die Farbe des Wagens bordeauxrot sein würde.
Ohne den Blick von dem Standbild zu wenden, auf dem das Luxusfahrzeug in flimmernden Grautönen zu sehen war, sagte er zu Funk. »Ich brauche den Halter von dieser Kiste aus dem Linzer Land. Wir geben sofort eine Fahndung raus. Allerdings kein Herantreten an die Person, sondern nur Feststellung und dann Verständigung an uns.«
Er stand auf und klopfte Funk auf die Schulter. »Jetzt haben wir ihn, das Eselchen.«
Sein Kollege blickte ihm mit einer etwas verständnislosen Miene nach und fragte: »Wo gehst du hin, Conrad?«
Conrad Schielin sprach im Gehen, ohne sich umzudrehen: »Ich fahre rüber nach Bregenz und rede mit Walther Lurzer. Vielleicht brauchen wir die Bregenzer noch. Außerdem mache ich mir inzwischen Sorgen um die Frau und das Mädchen auf dem Foto. Irgendwo müssen die doch sein, oder. Kümmere du dich um die Fahndung nach dem Jaguar-Spezi. Der Wagen ist übrigens bordeauxrot. Falls er hier bei uns unterwegs ist, dürften wir ihn schnell kriegen.«
*
Lydia Naber war in Sachen Nachlassgericht auf die Insel gefahren und hatte den Dienstwagen auf dem Parkplatz zwischen Amtsgericht und Stiftskirche abgestellt. Die Aktenberge im Büro der Rechtspflegerin des Nachlassgerichtes waren beeindruckend. Das war sicher auch ein interessanter Job, dachte Lydia, und ließ einen Blick über die verschnürten, versiegelten und gebündelten Erbfälle streifen, denen immer ein Tod vorausgehen musste.
Die Rechtspflegerin war eine untersetzte, aufgeweckte Person in hellbraunem Hosenanzug und mit kurzen Haaren. Sie schielte über ihre Lesebrille hinweg und deutete mit dem Kopf zu einem Aktenbock am Fenster. Dort lag ein großes weißes Kuvert. Daneben ein beachtlicher Stapel Briefpapier. Lydia Naber ging hinüber und warf einen Blick auf das Deckblatt.
Ottmar Kinker war also nicht bei einem Lindauer Notar gewesen, sondern hatte einen Dr. Beer in Wangen aufgesucht. Der verwendete für seine Schreiben mattweißes, griffiges Papier mit deutlich sichtbarem Wasserzeichen. Sehr edel. Aber was bitte hatte Ottmar auf diesem vielen Papier als seinen letzten Willen verfügt? Stand da seine Lebensgeschichte. Gerne hätte sie ihrer Neugier zuliebe schnell quergelesen. Doch sie blieb stark und holte eine Sicherstellungsbescheinigung heraus und begann die erforderlichen Felder mit der Hand auszufüllen. Danach zog sie die weißen Seidenhandschuhe an, die sie einmal von Robert Funk geschenkt bekommen hatte. Das machte gewaltig Eindruck. Vorsichtig nahm sie das Testament und bugsierte es in die Plastikfolie. Das Kuvert kam in eine eigene Tüte.
»Wir haben Fotokopien davon gefertigt.«
Lydia Naber sah auf.
»Keine Sorge. Sehr vorsichtig und auch mit Handschuhen. Allerdings nicht mit so edlen Dingern, sondern mit diesen Plastikschwitzern aus dem Verbandskasten.«
Lydia war zufrieden.
»Und was wird jetzt?«, fragte die Rechtspflegerin.
»Wir schauen einfach mal, was so an Fingerabdrücken vorhanden ist. Da es nicht mit der Post abgeschickt worden ist, sondern direkt hier im Briefkasten landete, stehen die Chancen ja nicht schlecht, dass die Fingerabdrücke von
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