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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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ja schlecht gewesen sein?«
    Lydia schüttelte den Kopf. »Sie sagen, krankheitsbedingt sei die Post der letzten Tage liegen geblieben. Es wäre also schon möglich, dass er es selbst eingeworfen hat. Deswegen habe ich ja gleich gefragt, wer das Ding in der Hand hatte. Das sollten wir uns schon genauer ansehen. Ist ja schon seltsam, dass ausgerechnet jetzt das Testament auftaucht.«
    »Jo, und was steht drin?«, wollte Gommert wissen, dessen Neugierde ungehemmt galoppierte.
    »Erich, bitte verschone uns jetzt. Hol lieber den neuen Drucker. Wir werden das Ding brauchen, und zwar bald.«
    Gommert verschwand unzufrieden. Die Sache mit dem Testament war so ganz nach seinem Geschmack. Lydia packte einen großen Sicherungsbeutel ein und machte sich auch auf den Weg zum Stiftsplatz.
    *
    Schielin blieb bei seinem Vorhaben und fuhr nach Reutin. Helmtraud Kinker öffnete die Tür und grüßte ihn mit einem undefinierbaren Laut und skeptischen Blicken, die vor allem der braunen Ledertasche galten, die Schielin diesmal dabeihatte. Ohne dass er dazu aufgefordert worden wäre, ging er den Gang nach hinten zu dem einsamen Zimmer mit Tisch. Wie er richtig vermutet hatte, saß dort Meta Kinker schweigend am Tisch und sah ausdruckslos aus dem Fenster. Sie rührte sich nicht, als er sie grüßte. Er setzte sich ihr gegenüber und öffnete langsam die Tasche. Helmtraud Kinker nahm zögernd an der Kopfseite des Tisches Platz.
    Zuerst holte er das Foto hervor, das er von Ottmar Kinkers Schreibtisch mitgenommen hatte. Er schob den silbernen Rahmen über den Tisch und fragte Meta Kinker, ob sie die Frau oder das Mädchen kenne, die darauf abgebildet waren. Meta Kinker widmete der Fotografie nur einen kurzen Blick, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Fenster zu. Schielin drehte das Bild ihrer Tochter zu, die etwas länger bei den Abgebildeten verharrte, aber keinerlei Regung zeigte. Dass das Unwissen über die Identität der Frau und des Mädchens echt war, entnahm Schielin dem halb entrüsteten, halb genervten Klang ihrer Stimme, als sie fragte, was das mit dem Foto bedeuten solle.
    »Es stand auf dem Schreibtisch Ihres Bruders«, antwortete er kühl.
    Dieser schlichte Satz schockierte Helmtraud Kinker sichtlich. Und auch die Aufmerksamkeit der Mutter gewann er wieder, die sich ihm nun mit einer schnellen, wendigen Bewegung zudrehte. Das stand im Gegensatz zu ihrer sphinxhaften Starre und offenbarte, dass sie durchaus anwesend war. Sie war also keineswegs zu unterschätzen. Und in seiner Tasche wartete ja noch eine weitere Überraschung. Meta Kinker griff nach dem Bilderrahmen, hob ihn vor ihr Gesicht und prüfte das Foto diesmal mit durchdringendem Blick.
    »Was soll das?«, fragte sie ungehalten und schob das Foto wirsch zurück.
    »Sie kennen die Frau und das Kind also nicht«, konstatierte Schielin sachlich.
    »Die hatten doch mit Ottmar nichts zu schaffen«, schnarrte Helmtraud Kinker aufgeregt.
    Schielin antwortete boshaft: »Vielleicht wissen Sie nur nichts davon. Wir haben Zeugen gefunden, die die beiden auf dem Foto zusammen mit Ihrem Sohn öfter gesehen haben, auf der Insel, beim Spazierengehen, im Café.«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung, holte dann das Fax der Staatsanwaltschaft aus der Tasche und sagte mit lauernder Belanglosigkeit: »Ist ja vielleicht auch nicht so wichtig.« Während seiner letzten Sätze froren die Mienen der beiden zusehends ein. Da er sich keiner der beiden direkt zuwenden wollte, erklärte er in den Raum hinein, dass ein beauftragtes Bestattungsunternehmen die Leiche in Memmingen abholen könnte und den Vorbereitungen für die Bestattung, vonseiten der Ermittlungen her, nichts mehr entgegenstünde. Das nun wurde von beiden ohne sichtbare Regung aufgenommen.
    Er war ratlos und schwankte zwischen Zorn und Mitleid. Mit den eigentümlichen Gefühlsregungen dieses seltsamen Gespanns konnte er nichts anfangen. Die Kälte und Teilnahmslosigkeit stießen ihn ab. Trostlosigkeit steckte in jedem Winkel dieser Wohnung. Er wollte sehen, ob dieser Zustand beim nächsten Griff in die Tasche unverändert bleiben würde. Zuvor setzte er intuitiv einen ersten kleinen Stich. Mal sehen, wer quieken würde. Die Wirkung war mehr als zufriedenstellend. Während er also umständlich in der Tasche kramte, sagte er wie nebenbei: »Waren Sie eigentlich gemeinsam beim Notar, um das Testament aufzusetzen?«
    Helmtraud Kinker quietschte, nachdem sie das Wort Testament noch einmal für sich wiederholte hatte, ein

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