Pulverturm
recherchiert und bin auf, wie ich finde, interessante Zusammenhänge gestoßen. In den letzten acht Jahren hat unsere hochgeschätzte Deutsche Bahn Aktiengesellschaft insgesamt mehr als tausend Bahnhöfe an einen privaten Investor verkauft. Ganz schön hohe Zahl, findest du nicht auch?«
Lydia Naber nickte.
»Ein großer Teil dieser Bahnhöfe – oder nennen wir es etwas neutraler, dieser Immobilien – fand sich kurz nach dem Verkauf in einem dänischen Spekulationsfonds wieder, der den hübschen Namen Real Rail Estate trägt. Ein solcher Deal geht nicht so einfach über die Bühne. Dazu braucht man weder Geld noch Intelligenz, sondern vor allem eines: Beziehungen. Und wenn es um Staatsunternehmen geht, die Eigentum an private Investoren verhökern, dann braucht man vor allem politische Beziehungen, um zum Zug zu kommen.«
Funk lachte. »Hübsche Umschreibung in diesem Zusammenhang, nicht wahr – zum Zug kommen. Aber gleich wie. Ich bin auf einen ehemaligen Landtagsabgeordneten gestoßen, dessen gesamtes Schaffen, Wirken und Mühen der Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Verkehrs gilt. Er hat lange in entsprechenden Ausschüssen gesessen, hat dann auf eine erneute Kandidatur für ein politisches Amt verzichtet und stattdessen einen Job in der freien Wirtschaft gesucht. Die freie Wirtschaft war ganz konkret ein Managerposten bei unserer Deutschen Bundes … äh, Entschuldigung … nur noch Bahn. Für die Dauer von drei Jahren hat er eine leitende Funktion im Bereich Immobilien übernommen. In diesem Zeitraum wurde ein großer Teil der relevanten Bahnhöfe verkauft, und es erfolgten die Vertragsabschlüsse für weitere Übertragungen. Dann wechselte der gute Mann als Geschäftsführer zu …?« Lydia Naber zuckte mit der Schulter. »… natürlich zur dänischen Real Rail Estate. Der hatte er ja zuvor als Bahnmanager die Bahnhöfe verkauft. Und diese dänische Real Rail Estate, die wird eigentlich aus Deutschland geführt – und zwar von einer kleinen, feinen Firma namens …? Na!?.«
»Aureum-Immobilien?«, sagte Lydia unsicher.
»Ja, aber sicher doch. Wie das Leben manchmal so …«
»Und was ist daran komisch?«
»Der Geschäftsführer von Aureum-Immobilien ist ein gewisser Herr Dr. Böhle. Genauer gesagt, Dr. Thomas Böhle. Der Geschäftsführer von Real Rail Estate ist ein gewisser Dr. Waldemar Böhle. Sein Onkel, der sich um die Vermögensmehrung unseres Landes schon immer verdient gemacht hat; als Abgeordneter, Bahnmanager und Geschäftsführer einer dänischen Firma.«
»Wo ist die Schnittstelle zu Kinker, und zwar die für uns interessante.«
»Ottmar Kinker war damit beschäftigt, die Deals zu prüfen. Im Grunde geht seine Tätigkeit bei Aureum auf energisches Nachfragen von politischer Seite her zurück. Da haben einige Abgeordnete Druck beim Bundesvermögensamt gemacht.«
»Und dann wird so ein kleiner, armer Kinker auf den Weg geschickt, um die Geschäfte solcher Dimension zu prüfen?«
»Das nicht ganz. Aber wenn Ottmar Kinker in seinem Bericht Dinge aufgelistet hätte, die nicht nachvollziehbar sind – ganz konkret fehlerhafte Einstufungen von Immobilien – dann hätten sich ganz andere Leute mit der Aureum und der Familie Böhler befasst.«
»Es ist also möglich, dass die Rail Real Estate Bahnhöfe und Bahngrundstücke weit unter dem Preis erhalten hat, als sie wert waren?«
»Einmal das. Und dann gibt es ja auch noch Gemeinden, Kommunen, Landkreise, die ein Interesse an den Bahnhöfen haben. Die sind gar nicht gefragt worden. Dr. Waldemar Böhle hat das Zeug an eine Firma verschachert, deren Geschäftsführer er später wurde und die von einer Firma kontrolliert wird, die sein Neffe führt.«
Lydia Naber schüttelte den Kopf. »Das alleine würde ja schon reichen. Hat Kinker denn was gefunden?«
»Ja.«
»Was?«
»In den Unterlagen, die Conrad mir gegeben hat, war ein Schnellhefter dabei. Furchtbar langweilige Beschreibungen von Grundstücken, Lagepläne und Bauwerksbeschreibungen. Wenn man den Ordner so durchblättert, nichts Interessantes an sich. Die Blätter sind in Klarsichtfolie eingeheftet.«
»Und?«
»Die Rückseiten. Es sind die Rückseiten. Die haben mit den Baubeschreibungen nichts zu tun. Das ist Kinkers Entwurf für den Abschlussbericht, der ja kurz vor dem Ende stand. Und da ist es vor allem die Schlussbemerkung, die es in sich hat. Kinker schreibt dort unverhohlen, dass mindestens fünfundzwanzig Bahnhöfe und Grundstücke weit unter Wert verkauft
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