Pulverturm
wurden, obwohl in diesen Fällen höhere Gebote anderer Interessenten vorlagen. Er hat diese Aussagen alle belegt, und das hätte das Ende für Aureum bedeutet. Die hätten das Ding plattgemacht.«
Lydia schnalzte mit der Zunge. »Ein schönes Motiv.«
Funke nickte ernst.
Lydia Naber sah auf ihre Uhr. »Dann holen wir uns den Burschen doch mal. Wenn die schon nicht wollen, dass wir rüberkommen …«
Dr. Thomas Böhle war noch im Büro, als das Telefon läutete. Lydia Naber sagte, dass man noch dringende Fragen hinsichtlich Ottmar Kinkers Tätigkeit habe, die mit der Aureum-Immobilien zusammenhingen. Er solle bitte, wenn möglich noch heute, nach Lindau kommen. Böhle war zu überrascht, als dass er eine geeignete Abwehrstrategie hätte verfolgen können. Er versuchte nach dem Telefonat mehrfach, seinen Onkel, Dr. Waldemar Böhle und dessen Rechtsanwalt zu erreichen. Doch die beiden waren vermutlich zusammen in die Berge gefahren.
*
Als Schielin wieder zu Hause anlangte, erwartete ihn bereits Marja mit der Nachricht, dass er Lydia anrufen sollte. Auch Walther Lurzer hatte sich gemeldet und um Rückruf gebeten.
Eine Stunde später saß er in seinem Büro. Funk und Lydia hatten ihn über Aureum informiert. Im Warteraum saß bereits Dr. Thomas Böhle. Wenzel kam kurz herein und sagte, dass Kinker morgen beerdigt würde.
Schielin rief Walther Lurzer zu Hause an und entschuldigte sich.
»Ist schon recht. Ich weiß ja, wie das ist. Ich habe mit Marja schon darüber gesprochen. Meine zwei Enkel sind das Wochenende zu Besuch. Ich hatte ihnen mal von deinem Ronsard erzählt und dass er mit den Pferden auf der Weide steht. Wenn es dir recht ist, käme ich mit den beiden morgen bei dir vorbei, Esel anschauen. Dann können wir zwei uns auch kurz unterhalten. Ich habe dann was dabei.«
Schielin freute sich. Einmal auf Walther Lurzers Enkel, die er das erste Mal sehen würde, und auch auf die neuen Informationen.
Kaum hatte er aufgelegt, erschien Kimmel in der Tür. »Zwei wichtige Informationen für euch. Die Memminger haben angerufen. Sie haben DNS-Material isolieren können. Zwei Nasenhärchen und Sekret.«
»Sekret?«, fragte Lydia angewidert.
»Rotz halt.«
»Wie schön.«
»Ich habe mit denen verhandelt, dass sie das Wochenende etwas nach hinten schieben und umgehend einen Vergleich mit der DNS von diesem Österreicher machen. Das ist doch in eurem Sinne.«
Es war keine Frage, und die beiden sahen sich auch nicht in der Pflicht, Kimmel etwas zu entgegnen.
»So langsam kommt Schwung in die Sache«, meinte Schielin.
»Und die zweite Sache?«, fragte Lydia.
»Eure Erbin sitzt in Passau bei den Kollegen.«
Schielin sah ihn erstaunt an. »Welche Erbin?«
»Diese Yulia Kavan mit ihrem Töchterchen. Ihr habt sie doch in der Fahndungsliste eingestellt, oder? Die Kollegen hätten sie gerne vor dem Wochenende weitergebracht. Ich werde Gommert schicken, zusammen mit der fixen Kleinen von drüben, dieser Jasmin. Ist schon alles geregelt.« Kimmel machte eine Pause. »Morgen wird schließlich ihr … Mann … beerdigt.«
*
Wie der Lauf der Zeit es verlangte, schickte die Nacht ihren ersten Boten. Das sanfte Matt der bürgerlichen Dämmerung glitt wie aus dem Nichts auf den See und die Stadt herab, Venus und Jupiter tauchten über dem Wasserspiegel auf, und niemand war zu sehen, der jetzt noch unter freiem Himmel gesessen und Zeitung gelesen hätte – was die bürgerliche Dämmerung doch definierte.
An einem Parkplatz vor dem Pfändertunnel bei Bregenz hielt ein BMW Cabrio. Eine Frau, die trotz der nahenden Dunkelheit keine Anstalten machte, ihre Sonnenbrille abzunehmen, schloss das Dach des Cabrios, fuhr wieder an und verschwand für einige Minuten in der dunklen Röhre. Als sie auf deutscher Seite die Autobahn verließ, trug sie immer noch die Sonnenbrille.
Immer deutlicher traten nun die ersten Sternbilder am Himmel hervor. Auf einem der wenigen Boote, die sich auf dem See vor der Insel befanden, hantierte ein junger Mann mit einem Sextanten. Er folgte den leise und ruhig gesprochenen Erklärungen eines älteren Mannes, dessen lange, weiße Haare unter einer Kapitänsmütze hervorleuchteten und der dem Jungen Navigationskenntnisse jenseits von GPS beibrachte. Die beiden nutzten die wolkenlose Klarheit des vergehenden Frühlingstages und suchten die Kimm, denn jetzt, während der nautischen Dämmerung, also dann, wenn die Sonne exakt zwölf Grad unter dem wahren Horizont steht, waren schon genügend hellere
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