Pulverturm
keinen Reim darauf machen. Böhle schrie herum, dass er, also Kinker, gar nicht wisse, mit wem er sich da anlege und dass irgendetwas das Haus niemals verlassen werde. Mehr habe ich nicht mitbekommen. Wirklich.«
»Mhm. Danke. Vielen Dank, Frau Präg. Ich werde Ihren Chef sicher auf diese Sache ansprechen. Das ist Ihnen doch klar.«
»Ja. Das macht nichts, ich habe schon einen anderen Job in Aussicht.«
»So schlimm?«
Er sah ihr stummes Nicken vor sich.
Lydia rief im Gang nach ihm. Wenzel lehnte an der Wand und hatte Pawliceks Handy in der Hand. Funk wartete bereits darauf. Vielleicht war es ja nicht mit PIN gesichert und es gab ein paar interessante Telefonnummern, Namen und Adressen.
Schielin wollte gerade ins Vernehmungszimmer, als die Tür von Kimmels Büro aufging. Kimmel winkte ihn heran und drückte ihm den Telefonhörer in die Hand. Der Kollege aus Ravensburg war am anderen Ende.
»Was gibt es?«, fragte Schielin.
»Ich wollte dich nur darüber informieren, dass ich einen kurzen, formlosen Bericht abgeben musste, deine Ermittlungen betreffend.«
»Was meinst du damit. Ich verstehe das nicht so recht.«
»Meine Vorgesetzten wollten wissen, ob ich von deiner Anwesenheit in Ravensburg informiert war.«
»Warst du doch.«
»Sicher. Aber ich hatte den Eindruck, das haben die nicht hören wollen.«
»Dass ich in Ravensburg war?«
»Mehr noch, dass du dich an die Spielregeln gehalten hast.«
»Deine Vorgesetzten?«
»Höher.«
»Wie hoch?«
»Sehr hoch. Meine Vorgesetzten wurden von deren Vorgesetzten, von deren Vorgesetzten … aufgefordert darzulegen, was denn da ermittelt wird. Ich bin außerdem gehalten, sofort Bericht zu erstatten, wenn du wieder bei uns auftauchst.«
»Und man hat dir gesagt, du sollst es gefälligst unterlassen, mich zu informieren.«
»Selbstverständlich. Aber ich habe heute frei genommen. Mache mit den Kindern eine Radeltour an den See runter und fahre dann mit dem Bähnle zurück. Wollte nur, dass du Bescheid weißt.«
Schielin ging mit gemischten Gefühlen in den Vernehmungsraum zurück. Was hatte das alles auf einmal zu bedeuten. Jetzt, ein paar Tage nach dem Mord, schienen einige Leute die Nerven zu verlieren. Und ausgerechnet derjenige, den sie als Tatverdächtigen festgenommen hatten, saß freundlich lächelnd und locker vor ihnen, bedankte sich für das Telefonat, sagte, dass er bis zum Eintreffen seiner anwaltlichen Vertretung keine Wort sagen würde, und bat darum, wieder in seine Zelle gebracht zu werden. Ein höflicher Mensch.
*
Schielin musste überlegen. Zuvor aber hatte er noch eine unangenehme Aufgabe zu erledigen. Er tauschte noch einige Sätze mit Lydia und Kimmel – Funk war gerade nicht im Büro – dann verließ er die Dienststelle. Sein erstes Ziel waren Meta und Helmtraud Kinker. Er wurde ohne Fragen in die Wohnung eingelassen, die er ohne Scheu betrat, denn weder die Räume noch die beiden Menschen, die ihn erwarteten, vermochten in ihm ein Gefühl von Trauer und Mitleid hervorzurufen. So kam er nur, um eine Nachricht zu überbringen – und er tat es kühl.
Meta Kinker saß auf einem der unbequemen, alten Stühle und sah aus dem Fenster. Ihre Tochter blieb am Tisch stehen. Schielin ging ein paar Schritte um den Tisch herum, weil er den beiden ins Gesicht sehen wollte. Er wollte sehen, ob das, was er zu sagen hatte, eine Regung erzeugte, eine menschliche Regung. Ohne Umschweife berichtete er, dass Ottmar Kinker kurz vor seinem Tod geheiratet und ein Mädchen adoptiert hatte. Erwartete einen Augenblick, denn die beiden Frauen schienen nicht zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Es war ihm gleich.
Er erwähnte das Testament und musste seine Gedanken gar nicht ausbreiten. Allein dessen Erwähnung im Zusammenhang mit dem Wissen um die heimliche Heirat und Adoption führte bei Helmtraud Kinker zu einem erschrockenen Glucksen und aufgeregten Bewegungen ihrer Hände. Ziellos fuhren die langen, knochigen Finger über Schulter und Unterarme, so als fröre sie und versuchte, den kalten Schauder mit den Händen abzustreifen. Voller Furcht sah sie abwechselnd zu ihrer Mutter und Schielin.
Meta Kinker saß wie immer stumm am Tisch. Ihre Haltung, ihr Körper, ihr Gesicht – alles schien wie eingefroren. Keine äußere Regung gab einem anderen menschlichen Wesen kund, was im Inneren dieser Frau vor sich ging. Schielin blickte einen Augenblick länger, als es höflich war, in ihr Gesicht. Was hinter dieser abweisenden Maske steckte, konnte er nicht
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