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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Stimme. »Geiz, das ist ein Strang der Seel, und alles Bösen Königin.«
    Das hatte Schielin schon einmal gehört
    *
    Schielin wanderte los. Er hatte nicht viel Zeit, und Ronsard schien Verständnis für seine Situation aufzubringen. Ohne Mucken trottete er nebenher. Es war nur eine kurze Runde geplant, und ihr einziger Zweck bestand darin, einen klaren Kopf zu bekommen, um die Fülle der Informationen, die auf ihn eingedrungen waren, ordnen zu können. Am besten gelang es ihm, nachzudenken, wenn er sich in Bewegung befand. Da er dabei öfter mit sich selbst sprach, verbat sich die Begleitung anderer, die dieses Verhalten mindestens als störend empfunden hätten. Außerdem hätte Schielins Höflichkeit vor den Empfindungen seiner Begleiter eine gründliche Auseinandersetzung mit dem zu Überdenkenden verhindert. Ronsard war der geeignete Partner für diese nachdenklichen Exkursionen. Er nahm Schielins Gerede, Schnaufen und Murren mit dem Gleichmut eines Esels hin.

    Es dauerte bis weit hinter Streitelsfingen, bis Schielin klare Gedanken fassen konnte. Bevor er in den vertrauten Weg nach rechts über die Wiese hin abbog, drehte er sich noch einmal um und sah nach Süden. Die Stadt lag hinter dem Steig versteckt am Ufer. Sein Blick hingegen reichte über die verborgenen, in seiner Vorstellung präsenten Dächer hinweg, zum See und weiter zu den schon leuchtend grünen Hängen des Appenzeller Landes. Über allem thronte die monumentale Dominanz des Säntis. Es war ein Blick, der das Herz frei machte, und wenn man die Disziplin besaß, romantischen Gefühlen Widerstand zu leisten, so machte er auch den Geist sprungbereit.
    Romantische Gefühle kamen bei Schielin nicht auf, denn der Blick auf den Säntis erinnerte ihn in diesem Augenblick an den Säntismord. Der lag zwar schon fast ein Jahrhundert zurück, die mysteriösen Umstände hingegen, unter denen der Wetterwart Haas und seine Frau Magdalena ums Leben gebracht worden waren, beschäftigten bis heute die Leute um den See und gebaren Geschichten, Legenden und Mythen. Er war hingegen gerade damit beschäftigt, den Pulverturmmord eben nicht ins Reich der Erzählungen gelangen zu lassen.
    Er nahm noch einen tiefen Blick über die Landschaft, die ihm vertraut und lieb war. Dann machte er sich auf den Weg, hinunter in den Tobel. Die Hufe Ronsards schlugen harte, knirschende Klänge aus den groben Kieseln des Weges, der steil hinunter zum Bach führte. So sanft dessen Rauschen auch war, versanken in seinem Schlund alle fernen Geräusche zivilisierten Lebens und machten den Kiesweg zum Eintrittstor in eine auf andere Weise stille Welt.

    Conrad Schielin war uneins mit sich selbst. Eigentlich stand der Fall kurz vor der Aufklärung. Sie hatten den Hauptverdächtigen in der Zelle sitzen. Es gab einen ausreichenden Verdacht und sogar einige gerichtsfeste Indizien, die gegen den Kerl sprachen. Dann noch diese kriminelle Vergangenheit. Eigentlich passte alles. Aber Schielin war sich nicht sicher. Und schlimmer noch – er konnte sich selbst die Frage nicht beantworten, woher sein Wanken herrührte.
    Eigentlich hätten sie sich voll und ganz auf diesen Pawlicek konzentrieren müssen. Aber der war so, wie er ihnen begegnete, entweder verrückt, unschuldig oder auf eine grausige Weise abgebrüht.
    Schielin dachte wieder an diese Wegzweigung im Wald, an der er fehlgegangen war, und er hatte das Gefühl, was den Fall anging, auch fehlzugehen. Damals war er zurück zum Abzweig gelaufen und hatte den richtigen Weg genommen. Wo aber war der Abzweig in seinem Fall, und wie weit musste er zurückgehen?
    *
    Funk ging gemessenen Schrittes zu Schielins Büro.
    »Wo ist denn dein Kompagnon?«, fragte er, als er Lydia alleine vor dem Bildschirm sitzen sah.
    »Esel«, lautete die Antwort.
    »Aha. Dann wird der Fall ja bald gelöst sein«, entgegnete Funk, ohne dass es sarkastisch klang oder so gemeint war.
    »Hast denn du kurz Zeit für mich, Lydia? Es geht um diese Immobilienklitsche in Ravensburg.«
    Lydia Naber hörte auf zu schreiben und deutete auf Schielins verwaisten Platz.
    Funk setzte sich, legte seine Hände fingergleich aufeinander, formte Kreise, Pyramiden und andere geometrische Figuren, ohne dass die Fingerspitzen voneinander ließen. Das war so seine Art, bevor er wichtige Dinge zu berichten hatte. Es bot sowohl Gelegenheit, sich zu sammeln, als auch die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen.
    »Also diese Aureum ist ein ganz eigentümlicher Schuppen. Ich habe mal ein bisschen

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