Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
Fingern zucken.
Der Mann neben ihr putzt sich geräuschvoll die Nase, reißt dann seine Zeitung wieder gerade, und Hadley hofft, dass sie auf dem Flug nicht neben ihm sitzt. Sieben Stunden sind eine lange Zeit, ein so großer Teil des Tages, dass man ihn eigentlich nicht dem Zufall überlassen dürfte. Niemand würde von einem erwarten, stundenlang mit einem Unbekannten im Auto zu fahren, aber wie oft war sie schon neben einem Wildfremden nach Chicago oder Denver oder Florida geflogen, war mit ihm, Ellbogen an Ellbogen, Seite an Seite, übers Land geschossen worden? Das ist das Komische am Fliegen: Man kann sich stundenlang mit jemandem unterhalten, ohne seinen Namen zu kennen, man kann die tiefsten Geheimnisse teilen und ihn dann nie wiedersehen.
Als der Mann den Hals reckt, um einen Artikel zu lesen, streift er Hadley mit dem Arm, und sie steht abrupt auf. Um sie herum wimmelt es immer noch von Menschen, sie schaut sehnsüchtig in Richtung Fenster und wünscht sich, jetzt sofort draußen zu sein. Sie weiß nicht, ob sie hier noch drei Stunden sitzen kann, aber die Vorstellung, ihren Koffer durch die Massen zu schleifen, ist ebenso entmutigend. Sie schiebt ihn näher an den leeren Sitz heran, damit er besetzt aussieht, und wendet sich an die Dame im Katzenpullover.
»Könnten Sie wohl eine Minute auf mein Gepäck aufpassen?«, fragt sie, und die Frau hält ihre Stricknadeln sehr still und schaut missbilligend zu ihr auf.
»Das ist nicht gestattet«, sagt sie nachdrücklich.
»Es ist ja bloß für ein oder zwei Minuten«, erklärt Hadley, aber die Frau reagiert mit einem leichten Kopfschütteln, als wolle sie auf keinen Fall in die Ereignisse verwickelt werden, die sich anzubahnen scheinen.
»Ich kann darauf aufpassen«, sagt der Junge von gegenüber, und Hadley sieht ihn zum ersten Mal richtig an. Sein dunkles Haar ist ein bisschen zu lang, sein Hemd voller Krümel, aber er hat auch etwas Besonderes. Vielleicht ist es der Akzent, den sie für britisch hält, oder das Zucken seiner Mundwinkel, als er ein Lächeln zu unterdrücken versucht. Jedenfalls sackt ihr das Herz unerwartet nach unten, als er sie anschaut und seine Augen zwischen ihr und der Frau hin- und herhüpfen, deren Lippen zu einer schmalen Linie des Missfallens zusammengepresst sind.
»Das ist gegen das Gesetz «, flüstert die Frau und blickt verstohlen zu den beiden massigen Sicherheitsbeamten in der Nähe.
Hadley schaut wieder zu dem Jungen, der sie mitfühlend anlächelt. »Schon gut«, sagt sie. »Dann nehme ich ihn eben mit. Aber vielen Dank.«
Sie sucht ihre Sachen zusammen, klemmt sich das Buch unter den Arm und wirft sich den Rucksack über die andere Schulter. Die Frau zieht ihre Füße kaum merklich zurück, als Hadley den Koffer an ihr vorbei manövriert. Am Ende des Wartebereichs geht der farblose Teppichboden ins Linoleum des Gangs über, und ihr Koffer schwankt bedenklich auf der Gummileiste, die beide Beläge trennt. Er wiegt sich von einem Rad aufs andere, und als Hadley ihn auszurichten versucht, rutscht ihr das Buch unterm Arm weg. Sie bückt sich, um es aufzuheben, da fällt auch noch ihr Sweatshirt zu Boden, das sie sich umgehängt hat.
Das soll wohl ein Witz sein , denkt Hadley und bläst sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Doch als sie alles aufgehoben hat und wieder nach dem Koffer greift, ist er plötzlich nicht mehr da. Sie dreht sich hastig um und sieht verblüfft den Jungen neben sich stehen, der seine eigene Tasche über die Schulter gehängt hat. Ihr Blick wandert nach unten, wo er ihren Koffergriff umklammert.
»Was machst du denn da?«, fragt sie blinzelnd.
»Du hast ausgesehen, als könntest du Hilfe gebrauchen.«
Hadley starrt ihn bloß an.
»Und so ist alles vollkommen legal«, fügt er grinsend hinzu.
Sie zieht die Augenbrauen hoch, und er richtet sich ein wenig auf, wirkt nicht mehr so selbstsicher. Ihr kommt der Gedanke, dass er womöglich vorhat, ihren Koffer zu stehlen, aber wenn es so wäre, hätte er die Sache schlecht geplant. Es ist auch nicht viel mehr darin als ein Paar Schuhe und ein Kleid. Und die loszuwerden, würde Hadley rein gar nichts ausmachen.
Sie bleibt einen langen Moment stehen und überlegt, was sie wohl getan hat, einen Gepäckträger anzulocken. Die Menschenmassen strömen um sie herum, ihr Rucksack hängt ihr schwer auf der Schulter, und die Augen des Jungen forschen mit irgendwie einsamem Blick in ihrem Gesicht, als wollte er jetzt auf keinen Fall allein zurückgelassen
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