Puppenbraut

mir das meine Informantin, als ich sie auf die von dir weitergeleitete Mail aufmerksam machte. Vermutlich wird gerade ihr Computer konfisziert.“

    „Und wie geht es Amy? Weiß sie, wie es um ihre Tochter steht?“, fragte Doreen besorgt.

    „Wahrscheinlich nur einen sehr kleinen Teil davon. Ich habe sie vorhin angerufen und wurde nach einer Autorisierung direkt ins Krankenhaus weitergeleitet. Gestern erlitt sie einen heftigen Nervenzusammenbruch und wird gerade dort behandelt. Sie verweigert die Nahrungsaufnahme, also werde ich vermutlich bald angerufen, um sie vor Ort zu betreuen. Ein Glück, dass wir jemand für Cassy haben!“

    Just in diesem Moment ließen sich fröhliche Stimmen aus dem Inneren des Hauses wahrnehmen. Offenbar schaffte Ivy es auch diesmal, ihre Tochter zum Aufzustehen zu bewegen.

    „Wenn Cassy endlich in die Schule gegangen ist, sprechen wir weiter!“, zischte Ell durch die Zähne und öffnete die Küchentür, um unangenehme Fragen der beiden kichernden Damen zu vermeiden. Nach einer obligatorischen morgendlichen Umarmung machte sich die fröhlich plaudernde Frauenrunde an ein ausgiebiges Frühstück. Von der anfänglichen Betrübnis des heutigen Morgens war keine Spur zu erahnen.

    *****

    „Was mache ich jetzt mit dem Artikel?“, fragte Doreen sich besorgt, als sie das Knallen der Autotür draußen hörte. Jetzt würde sie ganz viel Ruhe zum Schreiben bekommen. Für gewöhnlich traf sich Ivy mit ihren Studienfreunden, nachdem sie Cassy in der Schule abgeliefert hatte. Solange Cassy in der Schule war, pflegte sie auch wegzubleiben, damit sie ihre kostbare Zeit nicht zu Hause vertrödelte. Das Recht der Jugend! Raffaella wurde inzwischen, wie erwartet, zum Krankenhaus gebeten, um Amy beizustehen.
    „Ich vermute, dein Artikel wird wichtiger denn je sein, wenn öffentlich wird, dass der Verdächtige, Dwane Harper, nicht der gesuchte Täter ist, Ree. Allerdings wird es nicht unbedeutend sein, was du dort hineinschreibst, Schatz. Du bist um diese Aufgabe wahrhaftig nicht zu beneiden!“, warf Raffaella ein, während sie eilig den Rock ihres grau melierten Kostüms überstreifte.

    ‘In diesem Ensemble sieht sie immer so klasse aus’, ging es Doreen durch den Kopf.

    „Und gerade davor habe ich, ehrlich gesagt, Angst, Ell. Was ist, wenn ich dieses... “, sie suchte nach passenden Worten, „…dieses miese Schwein verärgere? Vielleicht schade ich Zoey! Andererseits wäre es vielleicht sinnvoller, wenn ich mir den ersten Artikel unter die Finger reiße. Ich weiß mit deiner Hilfe sicherlich besser zu dem wahren Täter durchzudringen als all die sensationsgierigen Reporter, die in dem Fall nur eine gute Story sehen.“

    „Da hast du vermutlich recht. Lass uns nachdenken! Wie solltest du dem begegnen?“ Raffaella zupfte an ihrem Hemd. Sehr bewusst verlangsamte sie jetzt ihre Bewegungen, um sich der Fragestellung widmen zu können. „Der Typ behandelt seine Opfer mit sehr viel Sorgfalt, wie wir schon wissen. Er sammelt Trophäen: Teile von Kleidungsstücken, welche er den Eltern des nächsten entführten Mädchens schickt. Damit schafft er eine gewisse Kontinuität zwischen den Fällen. Und/oder er möchte uns damit sagen, dass er beim Opfer davor nicht fündig geworden ist. Er ist gerissen genug, nicht gefasst zu werden, denn in der Vergangenheit gab es keine weiteren Hinweise oder Zeugen, obwohl die Mädchen von öffentlichen Plätzen verschwunden sind.“

    Geleitet von einem neuen Gedanken, unterbrach Raffaella für einen Augenblick ihre Arbeitsvorbereitung. „Der Täter entführte die Mädchen unbemerkt aus ihrem Umfeld. Er muss den Kindern also entweder Gewalt angedroht haben oder sie schenkten ihm zuvor großes Vertrauen. Die Cops nennen ihn “Dolly-Lover”, was in Verbindung mit den anderen Hinweisen darauf schließen lassen würde, dass er, wie ich bereits vermutet habe, emotional nicht erwachsen geworden ist. Er will die Eltern ‘mit seiner Braut’ besuchen, was wiederum bedeuten würde, dass er die konventionellen Vorstellungen von Beziehungen vertritt. Irgendwo hat er sich sicherlich ein ‘Nest’ gebaut, wo er Zoey, ‘seine Braut’, gefangen hält. Er versucht, auf seine Weise die Mutter zu beruhigen, weil er vermutlich wenig Interesse für öffentlichen Rummel hegt. Das scheint alles eine sichere Nummer zu sein, doch wie wäre es, wenn man dem Täter all das nähme?“

    „Wie meinst du das?“, fragte Doreen, obwohl sie langsam begriff, worauf Raffaella