Puppengrab
Tränen in Evans Augenwinkeln sah. »Sie sagte bloß, dass sie dringend wegmüsste. Sie flehte mich an, ihr zu vertrauen, und sagte, dass sie Abby finden könnte. Sie meinte, dass Sie tot wären und dass die Feds sie nicht helfen lassen würden. Dass eine weitere Puppe aufgetaucht sei und sie dahinterkommen könnte, was Bankes will. Sie hat mich angefleht, hat gesagt, dass sie Abby retten muss …«
»Also haben Sie zugelassen, dass sie selbst diesen Psychopathen verfolgt?«
Evan warf Neil einen giftigen Blick zu. »Sie kann doch so nicht leben, Sie blödes Arschloch! Was glauben Sie eigentlich, was Beth das Leben noch wert ist, wenn Abby umkommen sollte und sie es hätte verhindern können …«
»Sie kann es nicht verhindern!«
»Sie
denkt
aber, dass sie es kann!«, schoss Evan zurück. Seine Stimme sank um drei Nuancen, als ihn die Gefühle übermannten. »Sie wollte bloß ein wenig Zeit gewinnen, um herauszufinden, wohin Bankes Abby verschleppt hat. Ihr Typen habt sie es ja nicht einmal versuchen lassen. Sie durfte es nicht einmal
versuchen.
Ich habe ihr eine Waffe gegeben. Sie sagte, wenn ich sie wirklich lieben würde …«
Und dann brach Evan Foster zusammen und weinte wie ein liebeskranker Trottel – wegen einer falschen Entscheidung, seiner Gefühle und einer Frau, die er nie haben konnte.
»Was haben Sie ihr für eine Waffe gegeben?«
»Eine Neun-Millimeter-Ruger.«
Neil atmete auf – wenigstens wusste Beth, wie man damit umging. Er ließ Evans Hemd los und rollte die Schultern. Mit finsterem Blick meinte er, an Carol und Evan gewandt: »Halten Sie gefälligst beide die Klappe.«
»Sheridan.« Evan bückte sich nach dem Papierkarton auf dem Boden und zog zwei weitere aus seiner Hemdtasche. Er hielt ihm die Tickets für das Spiel der Orioles entgegen. »Wenn Sie Beth und Abby finden …«
Neil warf Foster einen langen Blick zu und steckte die Tickets ein. Dann ging er auf die Tür zu, hielt aber inne und wandte sich noch einmal an Evan: »Übrigens, Beths Lieblingsfarbe ist Gelb«, sagte er dann. »Und ihre größte Angst? Das, was sie gerade im Begriff ist zu tun.«
[home]
51
B eth fuhr wie eine Gefühlstote. Der Tempomat war eingeschaltet, die Stimme aus dem Radio fuhr wie eine arktisch-kalte Brise über sie hinweg.
Der frühere FBI-Agent Neil Sheridan ist tot … Ein sechsjähriges Mädchen wurde vermutlich entführt … das FBI ratlos … eine verzweifelte Mutter des Mordes an Sheridan angeklagt … Neil Sheridan, tot … die Sechsjährige wird vermisst …
Ein Alptraum. Ein Traum. Vielleicht würde sie bald daraus aufwachen und feststellen, dass Abby kichernd mit Heinz spielte, dass Neil sie umarmte, sich tief in ihr bewegte und dass ihre Phantasie ihr bloß einen bösen Streich gespielt hatte. Vielleicht geschah dies alles nicht.
Doch das tat es. Die Frau hatte Neil getötet. Chevy Bankes hatte Abby in seiner Gewalt. Beths Gedanken gingen mit ihr durch, als sie sich einen Augenblick lang vorstellte, was Bankes einem Kind alles antun konnte, was er vielleicht seiner kleinen Schwester angetan hatte, doch dann riss sie sich zuammen und konzentrierte sich auf die weißen Straßenmarkierungen des Highways. Fahr weiter. Denk nicht nach.
Sie blickte auf die Uhr am Armaturenbrett. 22 : 08 Uhr. Noch eine Stunde, bis sie in Sampson im Bundesstaat Pennsylvania war. Dann würde sie Bankes’ Haus finden müssen. Neil hatte es ihr einmal aufgezeichnet, es lag neben Mo Hammonds Schießstand, das dürfte in einem so kleinen Ort nicht schwer zu finden sein.
Neil hatte es ihr gezeigt.
Gott sei Dank. Gott sei Dank, dass er in ihr Leben getreten war. Wenn auch nur für eine kurze Weile.
Sie blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen getreten waren, und wagte nicht, weiter an Neil zu denken, nicht, solange Abby noch irgendwo war und lebte und sie brauchte. Sie musste sie finden.
Du kannst es nicht mit ihm aufnehmen. Der Kerl ist ein Killer.
Neils Worte drangen durch den Trübsinn zu ihr heran. Sie verdrängte sie. Bankes wollte
sie.
Er würde Abby ganz sicher umbringen, wenn statt ihr eine ganze Armada von FBI -Agenten im Haus seiner Mutter auftauchte.
Nur weil Sie die Dinge selbst in die Hand nehmen, heißt das noch lange nicht, dass Sie stark sind. Es heißt nur, dass Sie allein sind.
Sie wünschte, Neil würde die Klappe halten, und hätte bei dem Gedanken fast laut aufgelacht. Sie hatte nicht zuhören wollen, als er noch lebte, und jetzt trommelten seine Worte mit jedem
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