Puppengrab
Abend? Maggie meinte, du seist noch mal aufs Revier gefahren, nachdem du mich bei euch abgesetzt hattest.«
»Ich musste noch etwas fertigbekommen.«
Mit einem Ziehen in der Brust ließ Neil den Blick durch das Büro schweifen. Da waren all die winzigen Details, die er in der Eile übersehen hatte: ein gefaltetes Laken, das über der Sofalehne lag, darunter ein Kissen, ein kleiner Kulturbeutel, aus dem eine Zahnbürste herauslugte. Neils Laune sank in den Keller. »O Mann, Alter«, sagte er kopfschüttelnd. »Wie lange schon?«
Rick sah kurz auf und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. »Ich war erst ein paar Wochen im Arbeitszimmer, und jetzt bin ich seit ein paar Wochen hier im Büro.«
»Verdammt.« Es war also nicht nur der Job, der Rick zu schaffen machte.
Neil ging zurück zu Ricks Schreibtisch und schlug die Gelben Seiten zu. »Vergiss die Pizza. Wir können die Akten genauso gut bei euch zu Hause durchgehen.«
»Maggie möchte eine Zeitlang für sich sein.«
»Dann hätte sie dich nicht heiraten und vier Kinder mit dir in die Welt setzen dürfen, Himmel noch mal. Abgesehen davon: Selbst wenn ihr beide gerade nicht das Bett teilt, gibt es immer noch genügend Ausweichmöglichkeiten in eurem Haus.«
»Hey, ich lege mich auf keinen Fall zu einem Typen ins Bett, der einen gestickten Pinguin auf der Brust trägt.«
»Spießer. Ich fahre.«
Die Kinder schliefen bereits, als sie bei Rick zu Hause ankamen, doch Maggie war noch wach. Neil bestellte Pizza, mit extra Oliven für Maggie, und sie aßen gemeinsam. Die Spannung zwischen den beiden war mit den Händen zu greifen. Neil war bedrückt, wenn er daran dachte. Er konnte sich eine Welt, in der Rick und Maggie Sacowicz nicht zusammen waren, einfach nicht vorstellen. Sie waren der Maßstab für eine glückliche Ehe.
Schließlich legte sich Rick im Arbeitszimmer schlafen, und Neil las noch eine Stunde. Als er einschlief, träumte er von den Fehlern, die er begangen hatte. Jenes letzte Telefonat:
Tut mir leid, mein Schatz, Daddy muss noch mal zur Arbeit. Aber ich komme nach Hause, sobald ich kann … Verdammt noch mal, Heather, ich habe jetzt keine Zeit für so was, kümmere dich selbst darum. Ich muss Anthony Russell finden …
Am Montagmorgen hatte sich der Adrenalinschwung vom Vortag in Rastlosigkeit verwandelt. Doch es gab nichts zu tun. Neil erwog, nach Seattle oder Denver zu fliegen. Doch dann erinnerte er sich, wie wenig entgegenkommend die Polizei war, wenn sie eine aktuelle Untersuchung leitete. Für ihn gab es im Fall Lila Beckenridge oder Thelma Jacobs keinen Platz. Doch hätte Rick ihn nicht gebeten, mit ihm zu Elizabeth Denison zu fahren, hätte die Polizei nicht einmal von den Frauen erfahren.
Aber Neil wusste nun von ihnen. Und er wusste, dass Elizabeth Denison ihnen etwas verschwieg. Rick musste bei ihrer Vernehmung auf Nummer sicher gehen, Neil hingegen brauchte sich an nichts zu halten. Er besaß weder einen Polizeiausweis noch eine Dienstmarke. Er hatte keinen Job, um den er bangen musste.
Und für ihn gab es keine Vorschriften.
»Du siehst schrecklich aus«, stellte Evan Foster fest, als er Beth den Stuhl zurechtrückte. Sie hatten sich in seinem Lieblingslokal verabredet, einem karibischen Grillrestaurant an der Barrett Road mit Salzwasseraquarien und Palmwedeln.
»Danke sehr«, murrte sie und steckte sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Das Wetter hat mir zu schaffen gemacht. Habe das Wochenende im Bett verbracht.«
Was nicht stimmte. Sie hatte das Wochenende über im Internet gesurft und ihre Liste abgearbeitet. Aber das konnte sie Evan nicht erzählen. Sie hatte noch immer nicht begriffen, was vor sich ging. Bankes war nun schon seit fast einem Jahr auf freiem Fuß. Sein Fall gehörte zu einer Reihe von Verurteilungen, die hastig widerrufen worden waren, woraufhin die Abteilung für innere Angelegenheiten des Polizeipräsidiums von Seattle einige unsaubere Beamte rausgeworfen hatte, die geheime Absprachen mit einem korrupten Staatsanwalt getroffen hatten.
»Wenn es dir nicht gutging«, sagte Evan, »hättest du Abby rüberbringen können. Tante Carol hätte auf sie aufgepasst, und du hättest dich etwas ausruhen können.«
»Ich kann mich selbst um meine Tochter kümmern, Evan. Das mache ich die gan…«
»Die ganze Zeit, ja, ja. Ich vergaß, du bist ja Supermom …«
Beth hörte plötzlich nichts mehr von dem, was Evan sagte. Drei Meter entfernt wurde Neil Sheridan gerade von einer Kellnerin an
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