Puppengrab
ihnen reden.«
»Aha«, meinte Rick kopfschüttelnd. »Um dieses Gespräch beneide ich dich wahrhaftig nicht.« Er starrte einen Moment lang auf seine Schnürsenkel. »Neil, da ist noch etwas, das du wissen solltest. Heather hat angerufen.«
Neils Puls überschlug sich fast.
»Es ging nicht um dich. Ich meine, sie ruft hin und wieder an. Will mit Maggie sprechen. Aber das passiert nicht oft.«
»Wie geht es ihr?«, wollte Neil wissen. Auch wenn er sich fast fürchtete, die Antwort zu hören.
»Sie hat wieder geheiratet. Zum dritten Mal, denke ich. Sie kann wohl nicht schwanger werden oder zumindest kein Kind austragen. Sie hatte ein paar Fehlgeburten gehabt, glaube ich. Du kannst Maggie danach fragen.«
Neil ging zum Spiegel hinüber. Ellen Jenkins hatte recht: Er sah alt aus. Einen Augenblick lang fragte er sich, was die Jahre mit Heather gemacht hatten. Ob sie noch immer schlank war, samtweiße Haut, Sommersprossen und rote Haare hatte? Wie Maggie und Evie. Doch gemessen an dem, was sie durchgemacht hatte, musste sie aussehen, als hätte ihr das Leben ziemlich übel mitgespielt. Aber er wollte nicht so an sie denken. Insbesondere, weil er für ihr Leid mitverantwortlich war.
»Manchmal muss man einfach loslassen, Mann«, sagte Rick.
»Und manchmal eben nicht«, erwiderte Neil und sah Rick in die Augen. »Der Job ist es nicht wert, dass man allein schläft, Rick. Ich sollte das wissen.«
»Stimmt.«
Als Rick gegangen war, setzte sich Neil hin, und ihn überkam ein unfassbarer Schmerz. Heather. Rick und Maggie. Beth Denison. Die Familie von Gloria Michaels. Die Familien von Lila Beckenridge und der Frau, die vermisst wurde. Sogar die Familie von Anthony Russell.
Sein Bruder Mitch und dreizehn Menschen, die bei einer Explosion gestorben waren, gegen die Neil nichts unternommen hatte.
Er zog sein Handy hervor und wählte eine lange Telefonnummer. Dann wartete er. Am anderen Ende der Leitung antwortete eine fremde Stimme. »Hallo?«
»Hier spricht Neil Sheridan«, sagte er. »Ich möchte mit meinem Bruder sprechen.«
[home]
11
Indianapolis, Indiana
593 Meilen entfernt
D ie Frau, die als Nächstes sterben würde, hatte das Einkaufszentrum vor drei Stunden betreten. Sie war allein und schleppte eine Handtasche in der Größe eines Koffers mit sich. Sie war groß und schlank, hatte blondes Haar, das sie zu einem Knoten am Hinterkopf aufgesteckt trug. Und sie trug zu viel Make-up. Ihre Lippen waren knallrot, wie die einer Babypuppe. Sie war sommerlich gekleidet, mit kurzem Rock und Sandalen. Um ihre schönen Beine zu betonen. Sensationelle Beine, um ehrlich zu sein.
Beine, für die es sich zu sterben lohnte.
Chevy lehnte sich im Fahrersitz zurück und dehnte seine Muskeln, so gut es ging. Warten, warten, warten. Das war das Problem mit Einkaufszentren: Frauen konnten so ewig lang da drin bleiben, dass allein schon das Warten tödlich war.
Doch jetzt musste er vorsichtig sein. Auch wenn die Uhr tickte. Wenn er heute Abend zu einer vernünftigen Uhrzeit fertig war, konnte er schon morgen zu Hause sein. Zurück in jener Ausgeburt einer Stadt im östlichen Teil Pennsylvanias, wo er und Jenny aufgewachsen waren. Und von dort aus, ja, von dort aus war Arlington nur noch einen Steinwurf entfernt. Der Gedanke jagte Chevy wohlige Schauer über den Rücken.
Also wartete er. Obwohl Jenny zappelig war und er hungrig. Es lohnte sich, auf Miss Legs zu warten. Die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Oder am falschen. Das kam ganz auf die Perspektive an.
Chevy sah im Seitenspiegel, dass ein Gefährt in der Größe eines überdimensionalen Golf-Carts, auf dessen Seite das Logo des Einkaufszentrums prangte, heranrollte. Er runzelte die Stirn. Es war schon das zweite Mal innerhalb einer halben Stunde, dass der Sicherheitsdienst an ihm vorbeipatroullierte.
»Jetzt bekommst du Ärger«, sagte Jenny. Chevy drückte sie nach unten in ihr Versteck.
»Ich übernehme das. Sei still.«
Er zog einen goldenen Ring aus dem Aschenbecher, streifte ihn über den Ringfinger und wackelte so lange mit dem Finger, bis der Ring richtig saß. Dann zupfte er den Kragen seines Hemds zurecht und klappte die Sonnenblende mit dem Spiegel herunter. Er legte das gutmütige Lächeln auf, das er im College für die Rolle des Jim in
Die Glasmenagerie
einstudiert hatte.
Als das Cartmobil wieder vorbeifuhr, stieg er aus dem Wagen und winkte dem Sicherheitsmann zu. »Entschuldigen Sie«, rief er. Das Mobil hielt an.
»Kann ich
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