Puppengrab
fallen.«
»Ich kann sie selbst tragen. Das tue ich sonst schließlich auch immer.«
»Aber diesmal müssen Sie nicht. Wenn Sie sich nützlich machen wollen, öffnen Sie die Garage und schlagen Sie Abbys Bettdecke zurück.« Irgendetwas sagte ihm, dass ihr Bett ordentlich gemacht war.
Elizabeth Denison warf sich Abbys Jacke über die Schulter und schob eine Plastikkarte in einen Schlitz neben dem Garagentor. Mit einem dumpfen Mahlgeräusch öffnete sich das Tor. Drinnen begrüßte sie Heinz mit nicht enden wollender Freude. Als sie Neil durch das gemütliche Wohnzimmer, an der Küche vorbei, zur Treppe ins Obergeschoss führte, knipste Denison hier und da Lampen an.
Es ging Neil gut, bis er Abbys Zimmer betrat. Plötzlich stockte ihm der Atem. Die Wände waren zitronengelb gestrichen, überall Sonnenblumen. Da waren ihre Spielsachen und Bücher, und auf dem Bett lag eine Prinzessinnen-Überdecke. In einer Ecke des Zimmers hing eine Hängematte, in der eine ganze Schar Plüschtiere hockte. Weitere saßen auf ihrem Bett. Neil nahm an, dass es ihre Lieblinge waren, und er konnte Abby vor seinem inneren Auge mit ihnen spielen sehen: wie sie sie nachts zudeckte und morgens mit sich herumtrug.
Es schnürte ihm die Kehle zu.
»Mr. Sheridan?« Neil blinzelte. Denison zog Abby sacht die Schuhe aus und flüsterte: »Ich muss noch einmal schnell mit Heinz um den Block. Ich bin gleich zurück.«
Sie schlich sich nach draußen. Als Neil Abby ins Bett legte, wurde sie kurz wach. »Mommy ist gleich wieder da, Süße«, sagte er. »Sie geht nur kurz mit Heinz raus.«
»Du kannst ihr sagen, dass sie gern hier schlafen kann, wenn sie wieder Angst bekommt.«
Neil beugte sich über Abby. »Was?«
»Wenn die Träume wiederkommen.«
Er runzelte die Stirn. »Träume?«
»Die bösen. Wenn sie weinen muss.«
Sekundenlang kroch ihm die Sorge um sie unter die Haut. »Hat Mommy oft böse Träume?«
»Erst seit kurzem. Aber heute Nacht kann sie bei mir schlafen, wenn sie will. Heinz macht ihr schon Platz.«
Neil spürte ein Ziehen in der Brust. »Alles klar, Süße, das sage ich ihr.«
Elizabeth Denison kam zurück, bekam eine müde Umarmung von ihrer Tochter und stand mehrere Augenblicke an ihrem Bett. Sie beobachtete, wie sich die Bettdecke von Abbys Atemzügen hob und senkte. Schließlich schaltete sie das Licht aus und führte ihn nach unten.
Lass es gut sein, dachte Neil bei sich, als er ihr, vorbei an den Fotos ihres Mannes, in den Flur folgte. Es sind
ihre
Geheimnisse,
ihre
Alpträume.
Ihre
Tochter.
Sie öffnete ihm die Haustür.
Geh jetzt, Neil.
»Alpträume?«, fragte er, als er auf der Veranda stehen blieb. Sie verzog das Gesicht. »Abby lässt ausrichten, Sie können bei ihr schlafen, wenn die bösen Träume zurückkommen.«
Beth Denison versteifte sich. »Oh, na gut. Prima.«
Sie hatte den Blick nach unten gerichtet. Das Licht auf der Veranda ließ ihre Haut in einem warmen Goldton erscheinen. Die Wimpern warfen lange, dunkle Schatten über die Narbe auf der Wange. Es war eine Art Schnitt, allerdings kein sauberer. Eine große, unschöne Wunde, die aufgeklafft haben musste. Neil fragte sich, wie die inneren Narben wohl aussahen, die dieser Schnitt hinterlassen hatte. Ob sie ähnlich rauh verheilt waren wie die Wunde auf ihrer Haut? Ob es jene Wunden waren, die sie nachts wach hielten?
Auf diesen Gedanken folgte ein zweiter, der bei Neil eine deutliche körperliche Reaktion hervorrief: Beth Denison im Bett,
alles andere
als schlafend.
Geh jetzt, Neil.
»Was hält Sie vom Schlafen ab, Ms. Denison?«
Sie seufzte. »Die Puppen. Nur weil Abby diese Woche keine Schule hat, heißt das nicht, dass auch ich frei habe. Ich taxiere gerade eine Reihe antiquarischer Puppen. Sie sind sehr selten, und die Recherchen dafür sind einfach end…«
»Ich spreche nicht von Ihren Überstunden. Ich spreche von Ihren Alpträumen.«
»Ach, das. Sie glauben einer Sechsjährigen?«
»Aber es stimmt doch, oder?«
»Ich kann mich selbst um mich kümmern. Ich bin stärker, als ich aussehe, Mr. Sheridan.«
»Nur weil Sie die Dinge selbst in die Hand nehmen, heißt das noch lange nicht, dass Sie stark sind. Es heißt nur, dass Sie allein sind. Lassen Sie sich doch von anderen Menschen helfen.«
»Von wem denn?«, fragte sie herausfordernd und zog eine ihrer geschwungenen Augenbrauen hoch.
»Von mir. Sacowicz. Es gibt mehr als einen Menschen auf der Welt, der Ihnen helfen möchte. Ich würde sogar Evan Foster den Vortritt lassen,
Weitere Kostenlose Bücher