Puppengrab
Jalousien, und so musste er darauf verzichten.
Es war Morgen. Und wo war Beth? Verschwunden, dachte er. Vielleicht hielt sie sich bei einer Freundin oder in einem Motel auf. Oder sie wurde bereits bewacht. Es hing alles davon ab, wie rasch sie mit den Cops reden würde und mit wie viel der Wahrheit sie herausrücken würde. Er ließ sich vom Bett rollen und glitt zum Fenster hinüber. Dann hob er die Lamellen der Jalousie einen halben Zentimeter an. Ja, dort stand er einen halben Block entfernt. Ein grauer Sedan der Polizei.
Er wurde also bereits erwartet. Er musste ein wenig grinsen, als er sich an die beiden Polizisten erinnerte, die am Abend zuvor durch das Haus gegangen waren und die er bei ihrem Gespräch belauscht hatte. Sie hatten darüber spekuliert, ob man ihm eine Falle stellen würde, mit Beth als Köder, die in anlocken sollte.
Chevy wusste zwar nicht, wie wahrscheinlich ein solcher Plan war, doch Beth war nicht nach Hause zurückgekehrt. Vielleicht planten sie
tatsächlich,
ihm eine Falle zu stellen.
Die Idee gefiel ihm, er kam sich plötzlich wichtig vor. Doch er musste auch gewappnet sein. Seinen Plan ein wenig ändern.
Er strich die Decke glatt und überprüfte, ob alles wieder so aussah wie vorher, als er den Raum betreten hatte.
Jemand hat in meinem Bettchen geschlafen,
dachte er und musste unwillkürlich grinsen. Geduckt ging er nach unten und holte sich einen Bagel aus der Küche.
Jemand hat von meinem Tellerchen gegessen.
Dann begann er, Beths Unterlagen durchzusehen. In der systematisch geordneten Schubladenablage waren Briefe und Rechnungen. Chevy kramte darin herum und fand eine Telefonrechnung: AT &T. Er suchte weiter, um herauszufinden, wer ihr Internetprovider war: Comcast.
Okay.
Jetzt hinunter in den Keller. Chevy hatte vorsichtshalber die Nacht dort unten verbracht. Um Beths Computer stapelten sich Bücher, Zeitschriften und ausgedruckte Internetseiten, die allesamt etwas mit Puppen zu tun haten. Die Puppen selbst hatte Chevy in den beiden Kartons gefunden, in denen sie hier angekommen waren, doch Beth hatte ihnen jeweils ein Etikett am Handgelenk befestigt, wie ein Gerichtsmediziner einer Leiche an einem Zeh.
Ihm gefiel die Ironie, die darin lag.
Chevy setzte sich vor Beths Computer und loggte sich ein. Selbst wenn die Polizei ihr Telefon bereits angezapft haben sollte – und Chevy bezweifelte, dass sie schon so weit waren –, dann würden sie es trotzdem nicht bemerken, wenn jemand ins Internet ging, weil die beiden Services von unterschiedlichen Providern aus betrieben wurden. Er hatte lediglich zu befürchten, dass jemand unangemeldet zu Besuch kam.
Jetzt hatte er Zugang zu einem Nachrichtenserver, und er verbrachte einige Minuten damit, die Schlagzeilen zu lesen. Die toten Frauen im Westen bekamen ein wenig Aufmerksamkeit der Presse, doch Chevy war nicht derjenige, um den es ging. Wenn Beth jedoch bis Mittag ausgepackt hätte, dann stünde er in den Schlagzeilen.
Er klickte auf »Verlauf« und ging die Webseiten durch, die Beth in letzter Zeit besucht hatte. Ihre Schritte im Cyberspace verfolgen zu können, verschaffte ihm eine seltsame Form von Lustschauern. Dies war wie eine neue Version von »Goldlöckchen und die drei Bären«:
Jemand ist mit meinem Computer ins Internet gegangen.
Natürlich hatte er ohne ein Passwort keinen Zugang zu ihren E-Mails, aber andererseits hatte er gar keine Lust, diese zu lesen. Er wollte lediglich wissen, was sie über ihn in Erfahrung gebracht hatte.
Nachdem er drei Viertel der Liste durchgegangen war, ein Treffer:
Chevy Bankes.
Freude schlug wie eine Welle über ihm zusammen. Chevy lächelte, als eine ganze Reihe von Seiten auftauchte, die sich allesamt auf ihn bezogen. Das Verfahren in Seattle und das Datum, an dem er aus dem Gefängnis entlassen worden war. Gerichtsdokumente. Berichte aus dem Büro des Sheriffs. Zeitungsartikel. Drei Dutzend Berichte aus dem Büro des Bezirksstaatsanwalts von Seattle über wieder aufgenommene Gerichtsverhandlungen.
Er lachte in sich hinein und erwog, einige davon zu lesen, zwang sich aber weiterzumachen. Sollten die Cops ihm tatsächlich in Beths Haus auflauern wollen, dann wäre es besser, wenn sie ihn nicht vor ihrem Computer sitzend antreffen würden. Er stand auf und spähte durch die Lamellen der Jalousie. Der Wagen der Cops hatte sich nicht bewegt.
Als er zurück zum Computer ging, war ihm bewusst, dass er nun auf die Zeit achten musste. Er tippte »Kerry Waterford« ein, und eine
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