Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
nie gefunden. Ferner hat der Scotsman damals berichtet, dass die Särge in zwei Ebenen gelagert waren: jeweils acht nebeneinander, und dass eine dritte bereits vorbereitet war.«
»Sie meinen, als ob jemand die Absicht gehabt hätte, dort noch mehr Särge zu deponieren?«
Sie zog ihre Jacke fröstelnd um sich. Rebus hatte das Gefühl, dass nicht allein der kühle Wind sie schaudern machte. Plötzlich fiel ihm wieder die Innocent Railway ein, die »unschuldige Eisenbahn«, die natürlich längst außer Betrieb war. Heute war die Strecke für Wanderer und Radfahrer hergerichtet. Ungefähr vor einem Monat war dort jemand überfallen worden. Allerdings hatte Rebus nicht das Gefühl, dass Jean eine solche Geschichte besonders erheiternd finden würde. Genauso gut hätte er ihr Horrorgeschichten über Selbstmörder erzählen oder von den Injektionsnadeln berichten können, die von Zeit zu Zeit im Unterholz seitlich der Straße gefunden wurden, auf der sie gerade spazieren gingen. Mochte der Belag unter ihren Füßen auch derselbe sein, sie schritten dennoch auf völlig verschiedenen Wegen dahin.
»Das Einzige, womit ich dienen kann, sind meine historischen Kenntnisse, fürchte ich«, sagte sie plötzlich. »Ich habe mich überall umgehört: Aber niemand kann sich an jemanden erinnern, der ein spezifisches Interesse an den Särgen bekundet hätte, mit Ausnahme des einen oder anderen Studenten oder Touristen vielleicht. Die Särge waren früher mal eine Weile in einer Privatsammlung untergebracht und sind dann der Historischen Gesellschaft übereignet worden, und die hat sie wiederum dem Museum vermacht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Tut mir aufrichtig Leid, dass ich nicht mehr herausgefunden habe.«
»Alles ist von Bedeutung, Jean. Selbst Dinge, die nicht unmittelbar zur Aufklärung beitragen, können dabei helfen, Möglichkeiten auszuschließen.«
»Klingt fast, als ob Sie sich mit diesem Satz schon des Öfteren aus der Affäre gezogen hätten.«
Jetzt musste er lächeln. »Schon möglich. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht so meine. Haben Sie eigentlich heute Nachmittag schon etwas vor?«
»Wieso?« Sie spielte mit dem neuen Armband, das sie bei Bev Dodds gekauft hatte.
»Ich wollte nämlich die Särge, die aus dem zwanzigsten Jahrhundert stammen, einem Fachmann vorführen, und da könnte ein bisschen historisches Hintergrundwissen durchaus von Nutzen sein.« Er hielt inne und blickte auf Edinburgh hinunter. »Mein Gott, was für eine schöne Stadt.«
Sie musterte ihn prüfend. »Sagen Sie das bloß, weil Sie glauben, dass ich es hören will?«
»Wieso?«
»Als ich neulich abends auf der North Bridge stehen geblieben bin, hatte ich nicht das Gefühl, dass der Ausblick Sie sonderlich beeindruckt.«
»Manchmal schaue ich hin, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Doch im Augenblick ist das anders.« Sie befanden sich am westlichen Hang des Berges, sodass weiter unten etwa die halbe Stadt zu sehen war. Oben auf dem Gipfel würde sich ihnen ein noch prachtvollerer Rundblick anbieten. Doch auch von ihrem derzeitigen Standort aus hatten sie eine atemberaubende Perspektive: die Kirchturmspitzen und Schornsteine, die Fachwerkgiebel - und nach Süden hin dann die Pentland Hills und in nördlicher Richtung der Firth of Form mit der Küstenlinie von Fife im Hintergrund.
»Wenn Sie meinen«, sagte sie. Und dann erhob sie sich lächelnd auf die Zehenspitzen, neigte sich ein wenig vor und gab ihm einen flüchtigen KUSSauf die Wange. »Damit das endlich mal erledigt ist«, sagte sie leise. Rebus nickte, doch mehr fiel ihm nicht ein, und dann fing Jean wieder an zu zittern und sagte, dass ihr kalt sei.
»Es gibt in der Nähe des Reviers ein Cafe«, sagte Rebus. »Und natürlich sind Sie eingeladen. Doch nicht etwa aus reiner Großzügigkeit, sondern weil ich Sie um einen riesigen Gefallen bitten wollte.«
Sie brach in schallendes Gelächter aus, hielt sich jedoch sofort die Hand vor den Mund und entschuldigte sich.
»Was war denn daran so witzig?«
»Ich musste nur so lachen, weil Gill mir genau das prophezeit hat. Sie hat nämlich gesagt: Wenn du weiter seine Nähe suchst, dann musst du darauf gefasst sein, dass er dich um einen ›großen Gefallen‹ bittet.«
»Ach, tatsächlich?«
»Und natürlich hat sie Recht behalten.«
»Nein, das finde ich überhaupt nicht. Es handelt sich nämlich nicht nur um einen großen, sondern um einen riesigen Gefallen...« Siobhan trug ein Unterhemd, ein Polohemd und einen
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