Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
Wenn wir sowieso warten müssen, können wir uns auch Miss Balfours gelöschte Dateien anschauen.« Er sah den erstaunten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Sie wissen doch, dass man gelöschte Dateien wiederherstellen kann?«
»Klar. Wir haben doch schon Flips ganze Korrespondenz durchgesehen.«
»Auch alle alten E-Mails?«
Siobhan gab zu, dass sie sich darum noch nicht gekümmert hatte. Beziehungsweise Grant hatte nicht gewusst, dass das überhaupt ging.
Bain seufzte und machte sich dann an Flips PC an die Arbeit. Er brauchte nicht lange. Schon nach ungefähr einer Minute erschien auf dem Monitor eine Liste gelöschter Mails von und an Flip.
»Wie weit reichen die zurück?«, fragte Siobhan.
»Etwas über zwei Jahre. Wann hat sie sich den Computer eigentlich zugelegt?«
»Ein Geschenk zum achtzehnten Geburtstag.«
»Nicht schlecht.«
Siobhan nickte, »'ne schicke Wohnung hat sie auch noch bekommen.«
Bain sah sie an und schüttelte langsam den Kopf. »Unfassbar. Ich hab damals, glaube ich, eine Armbanduhr und eine Kamera gekriegt«, sagte er.
»Ist das die Uhr?« Siobhan zeigte auf sein Handgelenk.
Doch Bain war schon wieder am Computer beschäftigt. »Also reichen die E-Mails bis zur Anschaffung des Laptops zurück.« Er klickte die Mail mit dem frühesten Datum an, doch auf dem Monitor erschien ein Kasten, in dem es hieß, dass sie sich nicht öffnen ließ.
»Muss ich erst konvertieren«, sagte er. »Scheint so, als ob die Festplatte die Mail komprimiert hat.«
Siobhan versuchte zu verfolgen, wie er im Einzelnen vorging, doch er war zu schnell. Binnen kürzester Zeit erschien auf dem Bildschirm die erste E-Mail, die Flip mit dem Gerät gesendet hatte. Sie war an das Büro ihres Vaters gerichtet:
Nur ein Test. Hoffe, du bekommst die Mail. Der PC ist super! Bis heute Abend. Flip
»Müssen wir die alle lesen?«, fragte Bain.
»Ich fürchte, ja«, entgegnete Siobhan. »Müssen Sie die alle einzeln konvertieren?«
»Nicht unbedingt. Wenn Sie mir einen Tee besorgen - mit Milch, ohne Zucker -, dann schau ich mal, was ich tun kann.«
Als sie mit zwei Bechern zurückkam, ließ er gerade ein paar Mails ausdrucken. »Das erleichtert die Sache«, sagte er. »Während Sie die lesen, kann ich schon mal den nächsten Schub vorbereiten.«
Siobhan ging chronologisch vor und entdeckte sehr bald, dass diese Mails wesentlich interessanter waren als jene Klatschgeschichten, die Flip mit ihren Freundinnen ausgetauscht hatte.
»Schauen Sie sich das mal an«, sagte sie zu Bain.
Er las den Absender. »Von der Balfour Bank«, sagte er. »Ein gewisser RAM.«
»Ich wette, das ist Ranald Marr.« Siobhan nahm das Blatt wieder an sich.
Flip, großartig, dass du jetzt ebenfalls in der virtuellen Welt zu Hause bist! Ich hoffe, du hast damit eine Menge Spaß. Außerdem ist das Internet ein wunderbares Recherchemedium und wird dir hoffentlich das Studium erleichtern... Ja, es stimmt, dass du Nachrichten löschen kannst - dadurch gewinnst du neuen Speicherplatz, und dein Computer kann wieder schneller arbeiten. Aber vergiss nicht, dass man gelöschte Dateien wiederherstellen kann, sofern du nicht bestimmte Maßnahmen ergreifst. Wenn du etwas definitiv löschen willst, musst du folgendermaßen vorgehen...
Dann erklärte der Verfasser der E-Mail den Vorgang im Detail. Am Ende unterzeichnete er mit dem Kürzel R. Bain fuhr mit dem Finger am Bildschirmrand von oben nach unten.
»Das erklärt die großen Lücken«, sagte er. »Nachdem sie von dem Absender der Nachricht erfahren hat, wie man Mails vollständig löscht, hat sie es sich anscheinend zur Gewohnheit gemacht.«
»Das erklärt aber auch, wieso die Korrespondenz zwischen ihr und Quizmaster unauffindbar ist.« Siobhan sah nochmals die Ausdrucke durch. »Nicht mal ihr ursprüngliches Schreiben an RAM ist erhalten.«
»Und auch sonst keins.«
Siobhan rieb sich die Schläfen. »Aber wieso war es ihr so
wichtig, alles zu löschen?«
»Weiß ich nicht. Sehr ungewöhnlich, würde ich sagen.«
»Rutschen Sie mal ein Stück zur Seite«, sagte Siobhan und schob ihren Stuhl vor den Computer. Dann schrieb sie eine kurze E-Mail an RAM in der Balfour Bank.
Detective Clarke hier. Bitte unbedingt sofort melden.
Sie fügte noch die Telefonnummer des Reviers an, schickte die Mail los, nahm dann den Hörer ab und rief in der Bank an.
»Mr. Marrs Büro, bitte.« Sie wurde mit Marrs Sekretärin verbunden. »Ist Mr. Marr zu sprechen?«, fragte sie und sah Bain an, der gerade einen
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