Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
Hose kam die Straße entlanggerannt und lief durch das Friedhofstor. Rebus erkannte in dem unrasierten Mann mit den roten Augen Ranald Marr. Rebus vermutete sofort, dass Marr die Nacht in seinem Maserati verbracht hatte, und sah, wie Steve Holly ein ungläubiges Gesicht machte, weil er nicht wusste, was da vor sich ging.
Die Spitze des Trauerzuges hatte gerade das offene Grab erreicht, als Ranald Marr dort eintraf und vor John und Jacqueline Balfour stehen blieb. Balfour nahm den Arm von der Schulter seiner Frau, und dann hielten die beiden Männer einander sekundenlang umschlungen. Templer und Pryde sahen Colin Carswell an, der die Handflächen beschwichtigend bodenwärts richtete: Nur nichts überstürzen, signalisierte er. Nur nichts überstürzen.
Rebus hatte den Eindruck, dass keiner der Journalisten Carswells Geste gesehen hatte. Die Presseleute waren zu sehr damit beschäftigt, aus der merkwürdigen Störung der Zeremonie schlau zu werden. Und dann sah er, wie Siobhan in das Grab hinunterstarrte und unruhig auf den Sarg blickte, als ob sie dort unten etwas entdeckt hätte. Dann drehte sie sich unvermittelt um und ging zwischen den Grabsteinen hindurch, den Blick zu Boden gerichtet, als ob sie dort etwas suchte, das sie verloren hatte.
»Denn ich bin die Auferstehung und das Leben«, sagte der Geistliche feierlich. Marr stand jetzt neben John Balfour und starrte unverwandt auf den Sarg. Ein Stück weiter seitlich ging Siobhan noch immer zwischen den Gräbern umher. Rebus hatte den Eindruck, dass die Reporter sie nicht sehen konnten, da ihnen der Blick durch die Trauergemeinde versperrt war. Vor einem niedrigen Grabstein ließ sie sich in die Hocke nieder und schien die Inschrift zu lesen. Dann richtete sie sich wieder auf und ging weiter, allerdings deutlich langsamer als zuvor, als ob sie gefunden hätte, wonach sie suchte. Dann drehte sie sich um und sah, dass Rebus sie beobachtete. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das er irgendwie alles andere als beruhigend fand. Dann ging sie weiter, um das Ende des Trauerzuges herum, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
Carswell flüsterte Gill Templer etwas zu: Anweisungen, wie mit Marr zu verfahren sei. Rebus nahm an, dass man Marr auf dem Friedhof nicht weiter behelligen, ihm allerdings außerhalb des Geländes sofort eine Eskorte verpassen würde. Möglich, dass man ihn auf Junipers verhörte. Wahrscheinlicher war jedoch, dass Marr das Partyzelt und das Büfett gar nicht zu Gesicht bekommen und sich in einem Vernehmungszimmer am Gayfield Square mit einer Tasse Beuteltee würde begnügen müssen.
»Asche zu Asche...«
Rebus konnte nichts daran ändern: Die ersten Takte des Bowie-Songs schossen ihm durch den Kopf.
Einige Journalisten begannen schon aufzubrechen, entweder zurück in die Stadt oder hinüber nach Junipers, wo sie die geladenen Gäste begutachten konnten. Rebus schob die Hände in die Taschen seines Regenmantels und ging langsam innen an der Friedhofsmauer entlang. Erde regnete auf Philippa Balfours Sarg herab, der letzte Regen, der das polierte Holz je benetzen würde. Philippas Mutter stieß einen Schrei aus, der in den Himmel stieg und vom Wind in die Hügel hinausgetragen wurde.
Dann stand Rebus vor einem kleinen Grabstein. Der Mann, der hier beerdigt lag, hatte von 1876 bis 1937 gelebt, war also gerade mal einundsechzig Jahre alt geworden. Wenigstens waren ihm Hitlers barbarischste Untaten erspart geblieben, und vielleicht war er auch zu alt gewesen, um im Ersten Weltkrieg gekämpft zu haben. Ein Zimmerer, der vermutlich vor allem für die Bauern in der Umgebung gearbeitet hatte. Rebus musste an den Sargschreiner denken. Dann studierte er wieder den Namen auf dem Grabstein -Francis Campbell Finlay - und musste unwillkürlich lächeln. Als Siobhans Blick auf den Sarg gefallen war, in dem Flip Balfours sterbliche Überreste jetzt ruhten, war ihr offenbar zunächst das Wort »Box« und dann »boxing« durch den Kopf geschossen. Dann hatte sie in das Grab hinuntergeschaut und plötzlich die Eingebung gehabt, dass sie in eine dunkle Gruft blickte, where the sun didn't shine, wo niemals die Sonne schien. Offenbar hatte Quizmaster das Ziel verfolgt, Siobhan mit seinem Rätsel genau an diesen Ort zu locken, wenngleich ihr die Lösung erst im Angesicht des Grabes eingefallen war. Danach hatte sie dann nach Frank Finlay Ausschau gehalten und ihn tatsächlich gefunden. Rebus überlegte, was sie sonst noch entdeckt haben mochte, als sie vor dem
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