Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
benutzte Kirche, die man treffender als Kapelle bezeichnet hätte. Die Familie hatte diesen Ort ausgewählt und alles organisiert, doch die Freunde von Flip, die zu der Trauerfeier erschienen waren, hatten das Gefühl, dass die Stille und Abgeschiedenheit des Ortes eigentlich nicht so recht zu Flips Persönlichkeit passen wollten. Sie waren sich ziemlich sicher, dass das Mädchen einen belebteren Friedhof in der Stadt vorgezogen hätte, einen Ort, wo die Leute ihre Hunde laufen ließen und sonntags spazieren gingen, und wo abends im Schutz der Dunkelheit Partys gefeiert wurden und Liebespaare sich trafen.
Der Friedhof neben dem kleinen Gotteshaus war einfach zu hübsch und überschaubar, die Gräber zu alt und gepflegt, und Flip selbst hätte gewiss wild wuchernden Bodenranken und Moosen, Wildrosen und langem Gras den Vorzug gegeben. Doch dann wurde ihnen schmerzlich bewusst, dass ihre Freundin sich für solche Dinge jetzt kaum noch interessieren dürfte, weil sie tot und das Thema damit erledigt war. Und in diesem Augenblick erwachten sie vielleicht zum ersten Mal aus der Starre des ersten Schocks und empfanden echte Trauer über den Verlust eines so lange vor der Zeit gestorbenen Menschen.
Wegen des großen Andrangs konnte die Kirche nicht alle Trauergäste fassen. Deswegen hatte man die Türen offen gelassen, damit der kurze Gottesdienst auch im Freien zu verstehen war. Das Wetter war kühl und der Boden nass vom Tau.
In den Bäumen schimpften ein paar Vögel und taten ihre Empörung über die unerhörte Störung kund. Die Hauptstraße wurde von Autos gesäumt, und der Leichenwagen war bereits unauffällig wieder Richtung Edinburgh abgefahren. Neben einigen Luxuslimousinen der Marken Rolls-Royce, Mercedes oder Jaguar standen gelangweilt livrierte Chauffeure herum.
Offiziell waren die Balfours Mitglied einer Edinburgher Kirchengemeinde. Der dortige Geistliche hatte sich überreden lassen, den Trauergottesdienst zu halten, obwohl er die Familie höchstens an Weihnachten zu Gesicht bekam, und auch das schon seit zwei oder drei Jahren nicht mehr. Da er ein gründlicher Mensch war, hatte er den Predigttext mit den Eltern durchgesprochen und sich dabei einen Eindruck von Flips Persönlichkeit und Leben verschafft. Die massive Medienpräsenz war ihm gar nicht geheuer. Er kannte Kameras nur von Hochzeiten und Taufen. Deshalb erschien auf seinem Gesicht ein strahlendes Lächeln, als er plötzlich ein Objektiv auf sich gerichtet sah. Nach einer Schrecksekunde wurde ihm bewusst, wie deplatziert diese Reaktion bei einer Beerdigung erscheinen musste. Die Leute, mit denen er es hier zu tun hatte, waren keine nelkenbewehrten Angehörige eines Brautpaars, sondern ausgebuffte Journalisten, denen das feierliche Geschehen sichtlich egal war und die vor allem daran interessiert waren, ihre Kameras möglichst günstig zu positionieren. Obwohl der Friedhof von der Straße aus gut einsehbar war, würde es weder Fotos von der Grablegung noch von den Eltern vor der offen Grabstätte geben. Foto- und Fernsehaufnahmen durften lediglich von dem Augenblick gemacht werden, da der Sarg durch den Mittelgang der Kirche ins Freie getragen wurde.
Unmittelbar im Anschluss an die Trauerfeier konnten die Sensationsmedien die Angehörigen und Trauergäste allerdings schon wieder wie Freiwild nach Lust und Laune ablichten.
»Parasiten«, zischte ein langjähriger Balfours-Kunde aufgebracht. Natürlich wusste der Mann ganz genau, dass er am folgenden Morgen, in der Hoffnung, sich auf einem der Fotos selbst zu entdecken, nichts Eiligeres zu tun haben würde, als sämtliche Boulevardblätter der Stadt zu kaufen.
Da die Trauergäste in den Kirchenbänken und den Seitengängen schon dicht gedrängt standen, hatten sich die anwesenden Kriminalbeamten mit Plätzen hinten in der Kirche unweit der Tür begnügt. Colin Carswell, der Vizechef der Lothian Police, hatte die Hände vor dem Körper zusammengelegt und stand mit leicht geneigtem Kopf da. Direkt hinter ihm Hauptkommissarin Gill Templer und Chefinspektor Bill Pryde. Auch im Freien waren Beamte im Einsatz, die unauffällig den Friedhof und das Gelände im Umkreis des Gotteshauses im Auge behielten. Noch immer war Flips Mörder irgendwo dort draußen, und das Gleiche galt für Ranald Marr, sofern beide Personen nicht identisch waren. John Balfour, der neben seiner Frau in der ersten Reihe stand, verrenkte sich unentwegt den Kopf und starrte jedem neu Eintretenden ins Gesicht, als ob er noch jemanden
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