Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
selbst etwa fünfzehn Jahre jünger war als die übrigen Frauen.
»Jean und ich kennen uns schon seit der Schulzeit«, erklärte Gill. »Dann haben wir uns eine Weile aus den Augen verloren und sind uns vor vier oder fünf Jahren zufällig wieder über den Weg gelaufen.«
Burchill lächelte, als sie daran zurückdachte.
»Von meinen ehemaligen Mitschülern möchte ich niemanden wiedersehen«, sagte Harriet Brough, die sich gerade eine Hand voll Nüsse in den Mund geschoben hatte. »Lauter Arschlöcher - der ganze Verein.«
»Noch Champagner, meine Damen?«, fragte der Ober und nahm die Flasche aus dem Eiskübel.
»Na, wurde aber auch Zeit«, schnauzte Brough ihn an. Zwischen Dessert und Kaffee suchte Siobhan die Toilette auf. Als sie gerade wieder ins Restaurant gehen wollte, kam Gill ihr entgegen.
»Kluge Köpfe«, sagte Gill lächelnd.
»Ein sehr schönes Essen, Gill. Sind Sie sicher, dass ich nicht...«
Gill legte ihr die Hand auf den Arm. »Nein, das übernehme ich. Schließlich habe ich nicht jeden Tag einen Grund zum Feiern.« Dann sah sie Siobhan ernst an. »Glauben Sie, dass das mit Ihrer E-Mail funktioniert?« Siobhan zuckte bloß mit den Achseln, und Gill nahm diese skeptische Reaktion nickend zur Kenntnis. »Und wie fanden Sie die Pressekonferenz?«
»Das übliche Haifischbecken.«
»Manchmal funktioniert es einfach«, sagte Gill nachdenklich, »und manchmal...« Sie hatte außer dem Champagner noch drei Gläser Wein getrunken. Trotzdem deuteten lediglieh ihr leicht seitlich geneigter Kopf und ihre schweren Augenlider darauf hin, dass sie nicht stocknüchtern war.
»Darf ich mal was fragen?«, fragte Siobhan.
»Wir sind nicht im Dienst, Siobhan. Sie können offen sprechen.«
»Sie hätten Ellen Wylie nicht für den Job nehmen sollen.«
Gill fixierte sie mit einem starren Blick. »Sie meinen, ich hätte lieber Sie nehmen sollen, was?«
»Nein, das meine ich nicht. Ich finde es nur ziemlich heikel, jemanden, der so etwas noch nie gemacht hat, gleich mit einer solchen Situation zu konfrontieren...«
»Sie glauben also, Sie hätten es besser gemacht?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Worauf wollen Sie dann hinaus?«
»Es war ein Haifischbecken, und Sie haben Ellen da reingeworfen.«
»Vorsicht, Siobhan.« Aus Gills Stimme war plötzlich jede Wärme gewichen. Sie dachte kurz nach, rümpfte die Nase, inspizierte die Eingangshalle und erklärte: »Ellen Wylie hat mir seit Monaten in den Ohren gelegen. Sie wollte unbedingt Pressesprecherin werden. Und sobald ich konnte, hab ich ihr den Job gegeben, weil ich wissen wollte, ob sie wirklich so gut ist, wie sie selbst glaubt.« Dann sah sie Siobhan an. Die beiden standen jetzt so nahe beieinander, dass Siobhan den Wein in Gills Atem riechen konnte. »Sie ist es nicht.«
»Und wie sind Sie sich dabei vorgekommen?«
Gill hob den Finger. »Lassen Sie's gut sein, Siobhan. Ich hab schon genug am Hals.« Zunächst schien es so, als ob sie noch etwas sagen wollte, doch dann schüttelte sie bloß den Kopf und lächelte gezwungen. »Wir bereden das später«, sagte sie, schob sich an Siobhan vorbei und stieß die Tür zu den Toiletten auf. Dann blieb sie stehen. »Jedenfalls ist Ellen nicht mehr unsere Pressesprecherin. Eigentlich wollte ich Sie fragen...« Dann fiel die Tür hinter ihr zu.
»Keine Gunstbeweise bitte«, sagte Siobhan zu der geschlossenen Tür. Sie hatte plötzlich das Gefühl, dass in Gill über Nacht eine ganz neue Seite zum Vorschein gekommen war. Offenbar hatte ihre neue Chefin EllenWylie bewusst gedemütigt, um einen Beweis ihrer neu gewonnenen Macht zu liefern. Natürlich wollte Siobhan den Pressejob, doch zugleich ekelte sie sich vor sich selbst, weil sie die Pressekonferenz mit hämischer Genugtuung verfolgt hatte. Sie hatte sich über Ellen Wylies Demütigung gefreut.
Als Gill von der Toilette zurückkam, hockte Siobhan auf einem Stuhl im Gang. Gill blieb vor ihr stehen und blickte zu ihr herab.
»Spielen Sie hier vielleicht den Banquo beim Festbankett?«, fragte sie und ging weiter.
3
»Eigentlich hatte ich ja eine Art Straßenkünstler erwartet«, sagte Donald Devlin. Nach Rebus' Empfinden trug der Mann noch dieselben Sachen wie bei ihrer letzten Begegnung. Der pensionierte Pathologe saß an einem der Schreibtische: daneben ein Computer und der einzige Beamte am Gayfield Square, der sich mit dem Facemaker-Programm auskannte, einer Datei mit einer großen Auswahl an Augen, Ohren, Nasen und Lippen, die sich auf dem
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