Neunzigerjahre war die Familie nach Dalkey, einen südlichen Vorort der Stadt, gezogen. Davids Vater - Thomas Costello - hatte offenbar in seinem ganzen Leben keinen Tag gearbeitet und lebte ausschließlich von dem Vermögen, das sein eigener Vater in der Immobilienbranche gemacht hatte. Davids Großvater besaß eine Reihe erstklassiger Immobilien im Zentrum von Dublin, die ihm einen sorgenfreien und höchst komfortablen Lebensstil ermöglichten. Außerdem nannte er ein halbes Dutzend Rennpferde sein Eigen und konnte es sich leisten, seine Zeit ausschließlich den angenehmen Seiten des Daseins zu widmen.
Bei Davids Mutter Theresa lag die Sache ganz anders. Sie entstammte bestenfalls der unteren Mittelschicht: Die Mutter war Krankenschwester, der Vater Lehrer gewesen. Theresa hatte die Kunstakademie besucht, das Studium jedoch abgebrochen, um sich selbst und ihre Eltern durchzubringen, als die Mutter an Krebs erkrankt und ihr Vater am Leben verzweifelt war. Anfangs hatte sie als Verkäuferin in einem Kaufhaus gearbeitet und war dann Dekorateurin und später Innenarchitektin geworden. In diesem Beruf hatte sie zunächst Läden und dann immer häufiger auch die Häuser und Wohnungen vermögender Privatkunden eingerichtet. So hatte sie auch Thomas Costello kennen gelernt. Als die beiden schließlich geheiratet hatten, waren Theresas Eltern bereits tot gewesen. Obwohl sie seit ihrer Eheschließung auf einen Gelderwerb wohl nicht mehr angewiesen war, übte Theresa weiterhin ihren Beruf aus: zunächst allein, dann - als die Umsätze langsam den unteren Millionenbereich erreichten - mit fünf weiteren Mitarbeitern. Sie hatte sogar Kunden im Ausland, und ihr Auftragsbuch war gut gefüllt. Trotz ihrer inzwischen einundfünfzig Jahre war ihr Elan ungebrochen, während ihr um ein Jahr jüngerer Mann auch in seinen fortgeschritteneren Jahren noch den Lebemann spielte. Man konnte ihn in den Klatschspalten der irischen Presse ziemlich häufig bei Pferderennen, Gartenpartys oder ähnlichen Anlässen bewundern. Theresa hingegen kam auf diesen Fotos prinzipiell nicht vor. Getrennte Zimmer in ihrem Edinburgher Hotel... In der Tat nicht verboten, wie der Sohn gesagt hatte.
David selbst hatte erst mit einjähriger Verspätung mit dem Studium begonnen und war vorher in der Welt herumgereist. Inzwischen studierte er im sechsten Semester englische Sprach- und Literaturwissenschaft. Rebus musste an die Bücher im Wohnzimmer des jungen Mannes denken: Milton, Wordsworth, Hardy...
»Na, genießt du die Aussicht, John?«
Rebus öffnete die Augen. »Ich hab nur nachgedacht, George.«
»Kein kleines Nickerchen?«
Rebus warf ihm einen wütenden Blick zu. »Wie kommst du denn darauf?«
Nachdem Hi-Ho Silvers sich wieder getrollt hatte, erschien Siobhan auf der Bildfläche und lehnte sich an Rebus' Schreibtisch.
»Und worüber denken Sie so angestrengt nach?«
»Ach, ich hab nur überlegt, ob unser geliebter Nationaldichter Robert Burns es fertig gebracht hätte, eine seiner zahlreichen Geliebten umzubringen.« Sie starrte ihn verständnislos an. »Oder ob einem jungen Menschen, der Gedichte liest, ein Mord zuzutrauen ist.«
»Wieso denn nicht? Wenn selbst KZ-Kommandanten nach Feierabend Mozart hören.«
»Angenehme Vorstellung.«
»Ist mir stets ein Vergnügen, Sie seelisch aufzubauen. Und jetzt könnten Sie zur Abwechslung mal mir einen Gefallen tun.«
»Wenn es gar nicht anders geht.«
Sie reichte ihm ein Blatt Papier. Sagen Sie mir bitte, was das da zu bedeuten hat.«
Betreff: Hellbank
Datum: 9.5.
Von :
[email protected] An:
[email protected] Haben Sie Hellbank überlebt? Die Zeit wird knapp. Stricture erwartet Ihr Signal.
QuiM
Rebus sah sie an. »Können Sie mir irgendwie auf die Sprünge helfen?«
Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand. »Das ist der Ausdruck einer E-Mail. Ich habe in Philippas elektronischem Briefkasten ein paar Dutzend solcher Nachrichten gefunden, eben alles, was sich seit dem Tag ihres Verschwindens dort angesammelt hat. Bis auf diese eine waren die E-Mails ausnahmslos an ihre andere Adresse gerichtet.«
»Ihre andere Adresse?«
»Also die meisten Internet-Provider gestatten es ihren Kunden, bis zu fünf oder sogar sechs verschiedene Adressen zu verwenden.«
»Und wieso?«
»Damit man unter verschiedenen Identitäten auftreten kann, nehm ich mal an. Flipside 1223 ist eine Art Deckname. Die übrigen E-Mails waren allesamt an Flip-Punkt-Balfour gerichtet.«
»Und was hat das zu